SWR4 Sonntagsgedanken

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29AUG2021
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Ich bin ein Wolken-Fan. Manchmal bitte ich meine Familie mitten auf der Autofahrt anzuhalten, damit ich die Wolken fotografieren kann. Und ab und zu erfüllt sie mir den Wunsch.
Das sind dann keine langweiligen Wolken, sondern unterschiedliche Formen und Schattierungen, die sich übereinander schieben. Am schönsten finde ich es, wenn dann noch die Sonne durchblitzt. Bei dem unbeständigen Wetter zurzeit, mit den häufigen Regengüssen komme ich in puncto Wolken voll auf meine Kosten.

Wolken faszinieren mich. Sie sorgen dafür, dass ich nach oben schaue und diese Weite, die ich da sehe, bringt mich zum Staunen.

In der Bibel gibt es einen Ausspruch, der mir gefällt: „Wer Gott dient, den nimmt er mit Wohlgefallen an und sein Gebet reicht bis in die Wolken. Das Gebet eines Demütigen dringt durch die Wolken.“ Das ist ein schöner Satz. Doch die Menschen, die ihn als erstes gehört haben, haben nicht wie ich entspannt in die Wolken geschaut, träumerisch, oder auch begeistert. Ihr Blick ging durch einen Tränenschleier, denn sie machten gerade schlimme Zeiten durch. Sie haben in den Himmel geblickt und gebetet, weil sie sich nicht mehr zu helfen wussten. Es waren Witwen oder Waisen. Alle Unterstützung war ihnen weggebrochen.

In dem Abschnitt aus der Bibel heißt es dazu: „Gott hilft dem Armen ohne Ansehen der Person und er erhört das Gebet des Unterdrückten. Er verachtet das Flehen der Waisen nicht, noch die Witwe, wenn sie ihre Klage erhebt. Laufen ihr nicht die Tränen die Wangen hinunter, und richtet sich ihr Schreien nicht gegen den, der die Tränen fließen lässt?'
Wer Gott dient, den nimmt er mit Wohlgefallen an, und sein Gebet reicht bis in die Wolken.“

Während ich meist freudig in die Wolken schaue, ist es hier anders.  Die Witwe hat keinen Blick für ihre Schönheit, vielmehr bricht die schiere Not aus ihr heraus und sie betet.
Mir hilft es, beim Beten nach oben zu schauen. Auch wenn ich mir das nicht so vorstelle, dass Gott hinter den Wolken thront.

Die Blickrichtung ist trotzdem gut, denn so kann ich mich besser auf Gott konzentrieren - wenn ich mal nicht auf meine Angelegenheiten schaue, sondern auf die große Weite über mir.
In der Bibel steht dazu: “Das Gebet eines Demütigen dringt durch die Wolken.“ Außerdem lese ich dort, dass es Menschen gibt, die Gott besonders ans Herz gewachsen sind. Ihre Gebete kommen bei ihm besonders gut an. Seine Lieblinge sind all die Leute, die einen schweren Stand haben. Leute, die arm sind. Leute, die einfach nicht dieselben Chancen haben.

Damals waren das vor allem die Witwen und Waisen. Gottes Herz schlägt für sie. Er ist völlig unbeeindruckt davon, welche Positionen Menschen innehaben, wie ihr Jahresgehalt ist, welche Kleider sie tragen und welche Automarke sie fahren, oder ob sie nur mit einem klapprigen Fahrrad unterwegs sind. Gott stellt sich auf die Seite derer, die allein sind und nicht viel zu sagen haben.

Damals war die Großfamilie alles: Sie war zugleich Schule, Ausbildungsstelle, Krankenkasse und Altersversorgung. Dort gab’s medizinische Hilfe und sie sorgte für die Wohnung und dass alle, die zu ihr gehören, zu ihrem Recht kamen. Wer ohne Familienanschluss war, war chancenlos. So jemandem fehlte es an allem: an Essen, an Beziehungen und Unterstützung. Das Einzige, was sie tun können, ist beten.

Mit Gott in Kontakt treten, ihm sein Leid klagen, zu ihm flehen: Das ist keine Notlösung, denn Gott verspricht echte Hilfe. Es ist Gott ein Herzensanliegen, dass den Armen geholfen wird. Er verspricht, dass das Gebet der Witwe nicht nur bis zur Wolkendecke reicht.

Doch es steckt noch mehr dahinter. Die Botschaft ist: „Glaube ist kein Wolkenkuckucksheim.“ Es ist nicht damit getan, dass ich die Wolken betrachte und meine Gebete nach oben sende.

Sondern gleichzeitig gibt Gott mir was zu tun. Mir und allen anderen, denen es gut geht. Ja, mir geht es gut, denn ich habe ein festes Einkommen und stehe nicht allein da, sondern habe liebe Menschen um mich. An so Leute wie mich lautet der Auftrag: „So, wie die Armen Gott nicht egal sind, dürfen sie auch dir nicht egal sein. Kümmere dich um sie.“

In der Bibel steht häufig, dass Gott eingreift - das tut er meist durch andere Menschen, hoffentlich auch durch mich.

Wenn ich in die Wolken schaue, habe ich Zeit zum Nachdenken. Mein Blick wird von nichts anderem in Beschlag genommen. Ich kann mich von den Wolken begeistern lassen. Ich schaue ihnen zu, wie sie langsam weiterziehen, je nachdem, woher der Wind kommt. Nach so einer kleinen Auszeit sehe ich die Menschen um mich herum mit anderen Augen – ich sehe sie mehr mit Gottes Augen. Ich habe dann eher eine Ahnung, wie ich ihnen helfen könnte. Ja, manchmal erkenne ich durch den Abstand tatsächlich besser, was Gott von mir will.

Als Christin bin ich nicht immer stark – und nicht selten ist mein Blick nach oben von einem Stoßgebet begleitet. Doch Gott kann durch mich und meine bescheidenen Möglichkeiten wirken. Dann kann ich anderen zur Seite stehen. Meist sind es ja gar nicht die großen Dinge und Taten, die anderen helfen, schon kleine Dinge können ganz groß sein. Denn Gebet tatsächlich durch die Decke – auch durch die Wolkendecke.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag. Ganz gleich, ob mit oder ohne Wolken.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=33796
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