Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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04AUG2021
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Normalerweise gehe ich nicht so gerne auf die Kanzel hinauf, wenn ich in einem Gottesdienst predige. Die Kirche ist selten gerammelt voll, da können mich alle sehen, auch wenn ich unten bleibe. Sollte ich aber jemals einen Gottesdienst in dem kleine Dörfchen Vach im Frankenland halten, dann würde ich eine Ausnahme machen. Da würde ich zu gerne auf die Kanzel steigen, erhöht stehen, und zwar getragen vom Unterbau. Der Unterbau der Kanzel in Vach, die Säule sozusagen, auf der die Kanzel steht, ist nämlich eine überlebensgroße Figur: Es ist Mose aus der Bibel, aus dem Alten Testament. Mose, der das Volk der Israeliten durch die Wüste geführt hat, raus aus der Sklaverei, der sie in eine neue Heimat gebracht hat. Mose, der von Gott selbst die Tafeln mit den 10 Geboten erhalten hat. Und mir als Christin? Mir und meiner Kirche hat sie das Jüdische Volk weitergereicht.

Wir feiern dieses Jahr das Jubiläum „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“. Schon so lange ist Das Judentum Teil unserer Identität, auch wenn hier und in ganz Europa jahrhundertelang das Christentum vorherrschend war. Kirchen sind es, die im Mittelpunkt der Dörfer und Städte stehen, und von ihren Kanzeln haben unzählige Geistliche gepredigt. Leider war es dann doch nicht immer die Botschaft von der Nächstenliebe, die zu hören war. Oft genug haben die beiden großen Kirchen in Deutschland den Mächtigen ihrer Zeit nach dem Mund geredet, oder sie haben ihre eigenen Interessen verfolgt. Sie haben auch gegen die Juden gepredigt und hat sich schuldig gemacht. Die Verantwortlichen hatten vergessen, auf welchem Grund und Boden sie stehen. Wie gut wäre es gewesen, sie hätten auf der Kanzel der Sankt Matthäus-Kirche in Vach gestanden. Wie gut, wenn sie einen Blick unter sich getan hätten. Auf den Unterbau, der doch das Fundament ist, das die Kanzel trägt mitsamt ihnen obendrauf. Da steht Mose, der Jude, dem Gott die zehn Gebote anvertraut hat. Gottes Gebote sind die Grundlage und der Boden, auf dem der Christliche Glaube steht, und sie haben ein Ziel: Gerechtigkeit und Freiheit für alle.

Wenn wir als Christen auf die Kanzel steigen, dann dürfen wir ruhig etwas erhöht stehen. Wir dürfen nur nicht vergessen, was den christlichen Glauben trägt: Gottes Gebote und sein Bund mit den Menschen. Dieser Bund beginnt mit Mose - da stehen wir nicht drüber. Sondern es ist der Boden, der uns hält.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=33669
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