SWR1 3vor8

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08AUG2021
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Du bist auserwählt - der eine Mensch unter vielen. Herausgehoben, jemand besonderes. Das ist eine ganz schön steile Ansage. Schmeichelhaft, natürlich. Aber dann doch auch mit sehr viel Verantwortung verbunden. Und Neid bleibt auch nicht aus. Wie das ist sehen wir gerade z.B. an den Kandidierenden für die Bundestagswahl im Herbst. Anna-Lena Baerbock, Olav Scholz und die anderen. Herausgehoben, aber auf dem Präsentierteller.

Es gibt noch mehr Auserwählte wie Schulsprecherinnen oder die Sportler bei Olympia… Sie alle sind herausgehoben aus der Masse. Ob sie sich wohl den anderen um sie herum überlegen fühlen? Wahrscheinlich spüren sie eher, wie hoch die Erwartungen sind, die auf ihnen lasten.

Du bist auserwählt - auch in den evangelischen Kirchen ist dieser Satz heute zu hören. Gott sagt ihn zu einem ganzen Volk, dem Volk Israel. (Ex 19,1-6) „Ihr seid auserwählt!“ der Prophet Mose überbringt seinen Leuten diese Botschaft von Gott. Zusammen mit der Aufforderung: „Haltet meine Gebote und lebt als ein heiliges Volk.“ Bis heute ist das das Fundament des jüdischen Glaubens. Aber damit verbindet sich kein Gefühl von Überlegenheit – sondern vielmehr das Bewusstsein großer Verantwortung. Heilig und vorbildlich leben, das ist nicht leicht – obwohl Gottes Gebote menschenfreundlich sind und auf Freiheit ausgerichtet. Und so ist auch der Weg des auserwählten Volkes alles andere als leicht. Die Israeliten wurden verfolgt. In der Shoa fast bis zur Vernichtung. Und bis heute werden jüdische Menschen bedroht. Das auserwählte Volk ist vielen Gefahren ausgesetzt. Und bleibt doch das auserwählte Volk. Und trotz der Erfahrung des Leides betonen jüdische Theologinnen und Theologen: Es bleibt unsere Aufgabe als heiliges Volk zu leben. Vorbild zu sein im Glauben. Das ist unsere Möglichkeit an der Erwählung festzuhalten. Und weiterhin darauf zu hoffen: irgendwann kommt der Tag, an dem die Menschen in Frieden leben, weil alle Gottes Gebote erfüllen.

Israel ist auserwählt. Und Christinnen und Christen haben Anteil daran. Der Jude Jesus hat sie sozusagen dazu geholt, aber das heißt auch, die gleiche Verantwortung zu übernehmen. Die Verantwortung als heiliges Volk zu leben und Gottes Gebote zu halten. Jesus hat sie gut verständlich zu einem Kerngebot zusammengefasst: „Liebe Gott von ganzem Herzen und Deinen Nächsten wie Dich selbst!“ Ich möchte Verantwortung übernehmen und diese Gebote halten. Für mich bedeutet das, mich einzusetzen dafür, dass Menschen jüdischen Glaubens ohne Angst in diesem Land leben können. Sich einzusetzen gegen Antisemitismus, gegen Hass in all seinen Spielarten. Gerade als Christin. Denn auch ich bin auserwählt und der Verantwortung will ich mich stellen.

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