SWR2 Wort zum Tag

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06JUL2021
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Ein äthiopisches Sprichwort lautet: „Das Wort, das dir hilft, kannst du dir nicht selbst sagen.“ Ich kann eine ganze Reihe von Situationen aus meinem Leben aufzählen, in denen das zugetroffen hat. Wenn ich als kleiner Junge abends nicht einschlafen konnte, weil mich irgendetwas in der Schule bedrückt hat, hat meine Mutter an meinem Bett gesessen und mir Mut zugesprochen: „Keine Angst, du schaffst das schon.“ Aber auch als Erwachsener hat es immer wieder Gespräche mit Freunden gegeben, bei denen ich eine neue Perspektive gewonnen habe. Heute suche ich als Vater manchmal nach einem solchen Wort, das meinem Sohn hilft, sich in die Schule aufzumachen.

Ein Meister solcher helfenden Worte scheint auch Jesus gewesen zu sein. In den Evangelien gibt es eine ganze Reihe von Beispielen dafür. Eines davon ist seine Begegnung mit Zachäus.

Zachäus ist ein korrupter Zollbeamter, der den Menschen an seiner Zollstation viel zu viel Geld abknöpft und dementsprechend unbeliebt ist. Obwohl er es zu einem ansehnlichen Vermögen gebracht hat, scheint er mit seinem Leben nicht wirklich zufrieden zu sein. Als Jesus in die Stadt kommt, steigt er, klein wie er ist, auf einen Baum, um ihn zu sehen.

Jesus entdeckt ihn, spricht ihn an und lädt sich selbst bei ihm zum Essen ein. Diese Selbsteinladung scheint der Wendepunkt im Leben des Zollbeamten zu sein. Er gibt einen Teil seines Vermögens an die Armen und erstattet denen, die er betrogen hat, das Vierfache zurück.

Ehrlich gesagt, hätte er darauf doch auch ohne Jesus kommen können. Ist er aber nicht. Vielleicht hat ihm so etwas wie eine Initialzündung gefehlt. Interessant ist, Jesus rät ihm keineswegs, ein besserer Mensch zu werden. Er sagt nur zu ihm: „Ich muss heute Abend dein Gast sein“. Aber mit diesen Worten schenkt er Zachäus Anerkennung. Das macht es dem Zöllner möglich, sein Leben total zu verändern.

Vielleicht liegt darin auch das Geheimnis solcher Worte, die anderen weiterhelfen: Sie sind keine Ratschläge, die genau sagen, was zu tun ist.

Sie sagen etwas anderes, wodurch die Angesprochenen spüren, dass ihnen etwas zugetraut wird. Sie ermächtigen sie, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, was zuvor aus irgendwelchen Gründen nicht möglich war.

Ich glaube, die Kunst, solche Worte zu sagen, besteht darin, sie nicht sagen zu wollen. Sie entstehen in meinem Mund, wenn ich in einem Gespräch aufmerksam bei meinem Gegenüber bin. Ein solches Wort im richtigen Moment gesagt zu bekommen, ist wie ein Geschenk. Es ist unverfügbar und doch kann ich auch selbst etwas dafür tun: So wie Zachäus auf einen Baum gestiegen ist, so kann ich Ausschau halten nach Menschen, die mir gut tun.

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