Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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15JUN2021
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Was sehe ich eigentlich, wenn ich morgens in den Spiegel schaue?
Ein verschlafenes Gesicht? Ein ernstes oder gar missmutiges? Oder sehe ich nicht wirklich was oder irgendjemanden, und bin nur am Funktionieren mit Zähneputzen, waschen und rasieren? Bestimmt ist der morgendliche Blick in den Spiegel kein tiefgründiger. Aber jeder Blick in ihn ist eine Möglichkeit dazu. Besonders in besonderen Situationen. In großer Erschöpfung, an Leib oder Seele oder beidem. Bei Angst, bei Freude oder bei Gewissensentscheidungen. Der österreichisch-jüdische Schriftsteller Arthur Feldmann hat die mögliche Tiefendimension des Blicks in den Spiegel sehr schön auf den Punkt gebracht, indem er schrieb: „Ich suche im Spiegel den zu erkennen, der mich durch meine Augen im Spiegel betrachtet.“ Damit meint er: wer bin ich eigentlich? Wer schaut mich da wirklich an? Das ist oberflächlich gesehen natürlich tagesformabhängig und eben auch von der Situation. Aber es gibt Momente im Leben, in denen es wichtig ist, aufrecht, klar und offen in den Spiegel zu schauen. Sich selbst in die Augen zu schauen und zu sehen, wer einem da eigentlich gegenübersteht. Zum Beispiel wenn eine schwere Entscheidung zu treffen ist. Wenn ich Anderen und im Letzten mir selbst zeigen muss wer ich wirklich bin. Welche Überzeugungen ich habe. Was ich zu sagen oder zu tun bereit bin und was nicht. Wichtig ist dabei, dass ich so rede und handle, dass ich auch nach dem Gespräch oder der Entscheidung in den Spiegel schauen kann. So in den Spiegel schauen kann, dass mich da kein Fremder anschaut. Fremd, weil er Anderen nach dem Mund geredet hat. Oder den, der er wirklich ist, im Innersten ist, verleugnet hat. Wenn das nicht so ist, wenn ich bei mir geblieben bin, dann ist das ein sattes und stimmiges Gefühl. Das unverwechselbar gute Gefühl ganz bei mir zu sein, im Reinen mit mir selbst zu sein. Wenn nicht, wenn ich das – aus welchen Gründen auch immer nicht geschafft habe - dann ist das eine Gelegenheit das zu ändern. Und es beim nächsten Mal besser zu machen. Bei mir selbst zu bleiben oder mich dort hin zu wagen. Damit mein Blick in den Spiegel ein offener und wohltuender sein kann. Was auch passiert…

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