Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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21MAI2021
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Meine Schulzeit liegt echt lange zurück. Aber wenn ich heute mit dem achtjährigen  Nachbarsjungen Hausaufgaben mache, dann fällt mir wieder ein, wie schlecht ich in Rechnen und später in Mathe war. Beta war die beste in Mathe. Wer bei ihr abschrieb, konnte sich drauf verlassen, keine Fehler zu haben.

Das war auch bei Klassenarbeiten so. Wenn wir die abgegeben hatten, fragten die „5er- Kandidaten“ Beta nach den Lösungen und es war klar: wenn ich zu anderen Ergebnissen gekommen bin, hab ich wieder eine 4 oder 5. Ich hab aber auch immer nur die Hälfte verstanden von dem, was unsere Lehrerin uns erklärte. Und manchmal nur Bahnhof. Und im Lauf der Zeit bekam ich richtig Angst vor dem Unterricht und vor der Lehrerin. Eine Serie von Misserfolgen.

Glücklicherweise nahmen meine Eltern es mir nicht übel; von denen war auch keiner ein Mathe-Ass gewesen.

Dann bekamen wir Herrn Jacoby. Der unterrichtete Mathe und Musik. Musik fand ich prima, auch wenn es manchmal peinlich war, sich zu ihm an den Flügel zu stellen und mit seiner Klavier-Begleitung der Klasse ein Lied vorzusingen.

Wenn er dann zum Matheunterricht kam, war ich positiv eingestellt. Und er erklärte die Themen so, dass ich alles verstanden habe. Dann kam die erste Arbeit, er gab sie korrigiert zurück und war entsetzt, wie schlecht wir alle in Mathe seien. Es gebe viele Fünfen und sogar ein paar Sechsen. Nur eine einzige Eins. Klar, Beta, das wussten wir sofort.  „Die 1 hat Mechthild Peters“ – ich bin fast umgefallen und habe den Satz heute noch in den Ohren. Und Beta war genauso fassungslos über ihre 2 Minus.

Ich habe damals gelernt: nichts ist für immer. Ich habe kein Abo auf die 5 in Mathe und auch sonst kann sich alles mal ändern. Aus einer mangelhaften Schülerin kann eine ausreichende werden und aus einer sehr guten eine gute. Aus einem Pechvogel kann ein Glückspilz werden und aus einer Glückssträhne eine Pechsträhne. Ich kenne auch Leute, die Angst haben vor zu viel Glück, weil sie sich nicht vorstellen können, dass das so bleibt. Sie warten dann quasi schon auf das Unglück. Aber auch wenn das kommt, ist es ja nicht für immer. Und ein guter Trick ist es, im Schlechten noch die kleinen Spuren des Guten zu entdecken. Ein Regentag, der mich nervt, ist gut für meinen Garten. Und dann bin ich solidarisch mit meinem Garten und freu mich einfach auch.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=33172
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