Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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23APR2021
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Ich stehe fröhlich vor meiner Wohnungstür und plaudere mit meinen Nachbarn. Wir kennen uns seit Jahren und ich fühle mich wohl im Haus. Ich als Wessi unter lauter Ossis.

Das ist eine Szene, die ich vor einigen Jahren in Leipzig erlebt habe, wo ich eine Zeit lang gelebt habe.

An dem Tag damals war Isabell dabei, eine Freundin meiner Nachbarn. Während wir so gemütlich beieinanderstehen und reden, mustert sie mich immer wieder und fragt plötzlich: „Wo kommst du her?“ Perplex antworte ich: „Aus Leipzig. Ich wohne hier.“ Isabell bohrt nach: „Nein, wo kommst du eigentlich her?“. „Ich wohne hier, in diesem Haus.“, antworte ich. Isabell ist noch nicht zufrieden. Sie fragt nochmal scharf nach, und ich bin mittlerweile genervt.Schließlich erkläre ich ihr genau, wie lang ich wo gewohnt habe. Endlich gibt sie sich zufrieden.

Soweit die Szene vor acht Jahren in Leipzig. Wie Isabell mich damals gefragt hat: „Wo kommst du eigentlich her?“ – das hat wehgetan. Weil es geklungen hat wie: ‚Du gehörst nicht dazu. Du bist keine von uns. Du bist eine Fremde. Eine Wessi.‘ Und das, obwohl ich zu dem Zeitpunkt seit Jahren dort war, dort Freunde gefunden hatte. Für mich war klar: Ich gehöre dazu.

Hätte mich Isabell anders gefragt, wäre das für mich kein Problem gewesen. Zum Beispiel (so) in der Art von: „Mich interessiert dein Dialekt – wo bist Du denn aufgewachsen?“ – oder: „Ich kenne Deine Nachbarn schon so lang und dich sehe zum ersten Mal – wo hast Du denn vorher gelebt?“, dann hätte ich gerne von mir erzählt. 

Wenn mich heute jemand so abschätzig oder misstrauisch fragt wie damals Isabell, sage ich ehrlich, was bei mir gerade los ist. Dass ich nicht verstehe, warum ausgerechnet die Frage „Wo kommst du her?“ gleich am Anfang so wichtig ist. Ich frage zurück: „Können wir uns nicht erstmal kennenlernen? Lass uns darüber reden, was wir mögen und was nicht oder irgendwie voneinander erfahren, wer wir eigentlich sind, du und ich.“

Ich bin überzeugt: wer so offen miteinander redet, der lernt sich schnell kennen, und er zeigt Interesse am Anderen. Weil er ihn oder sie nicht in irgendeine Schublade steckt, nur weil er von irgendwo herkommt, sondern weil er den Anderen spüren lässt: du bist mir wichtig. Wenn ich das raushören kann, dann wird auch die Frage: „Wo kommst du eigentlich her?“ – nur noch zu einer Nebensache.  

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