Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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22APR2021
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Erleichtert schließe ich die Spülmaschine und drücke den Startknopf. Die Gäste sind längst weg, mein Mann und ich räumen auf. Es war eine fröhliche Abendgesellschaft mit Freunden, wie sie im letzten Sommer zwischendurch mal möglich war. Mein Mann Michael verschwindet ins Esszimmer. „Ich schiebe die Tischplatte mal wieder zusammen.“ „Lass doch!“, rufe ich ihm nach, „ich möchte das noch ein bisschen so lassen!“. „Echt jetzt?“, entgegnet er, „der Tisch ist viel zu groß so, und das Tischtuch total verkleckert. Komm, dann ist alles vor dem Frühstück weg!“

„Dann ist alles weg“: Der Tisch ohne Tischdecke und wieder klein zusammengeschoben, keine Spur mehr von unseren Gästen. Genau das ist mein Problem damit. Unsere Gespräche, wie wir gelacht und debattiert haben: das ist gefühlt noch alles da, und ich möchte die Nähe unserer Freunde noch ein wenig genießen.

Ich sage: „Es ist so rabiat, wenn wir jetzt alle Spuren beseitigen. Ich möchte ins Bett gehen mit dem Gefühl, sie wären noch um uns, auch wenn sie schon zuhause sind.“ „Aha“, meint mein Mann. Also lege ich noch eins drauf und sage ihm: „Weißt du, in den Trümmern unserer Party sind unsere Freunde mir gefühlt nahe.“

Jetzt lenkt mein Mann ein, eher aus Rücksicht. Für ihn ist das verrückt, für mich steckt da was drin, was mir viel bedeutet. Wenn ich etwas Schönes erlebe, will ich davon möglichst lange was haben, auch in mir drin. Deswegen will ich eben ein paar Reste eines gemütlichen Abends bis zum nächsten Morgen stehen lassen. Oder ich nehme Menükarten von Geburtstagsfeiern mit nach Hause und stelle sie irgendwo auf. Oder ich zünde die Kerze aus dem Ostergottesdienst zuhause so lange nochmal an, bis sie ganz runtergebrannt ist. Die Menükarte oder die Osterkerze sind für mich wie Zeugen von einer Zeit, in der ich auftanken konnte.

Am nächsten Morgen frühstücke ich mit meinem Mann am viel zu großen Tisch, die Kaffeetassen zwischen den Rotweinflecken. Am Tischende steht auch noch eine Weinflasche, in der nur noch ein kleiner Rest drin ist. Mein Mann streicht sich gedankenverloren sein Honigbrötchen. Dann sagt er unvermittelt: „Unsere Freunde sind dir jetzt also immer noch gefühlt nahe, auch wenn sie längst zuhause sind?“. „So etwa“ entgegne ich.

Er mustert die Rotweinflasche und schenkt sich den letzten Schluck in sein leeres Wasserglas. „Okay“, meint er und trinkt bedächtig aus. „Und jetzt sind sie gegangen – bis wir sie wieder einladen.“ Ich muss grinsen und sage: „Gefühlt genauso“. Und schraube das Honigglas zu.

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