Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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15APR2021
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Wenn die Eltern alt werden, muss man ihnen was zurückgeben. Das ist man ihnen schuldig. Diese Meinung ist ziemlich verbreitet. Oft wird dazu auch das Vierte Gebot aus der Bibel genannt: „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren“ [2. Mose 20,12a].

Auf den ersten Blick finde ich das einleuchtend. Wenn ich an meine Eltern denke – was die alles für uns Kinder eingesetzt haben! Zeit, Kraft, Geld – jede Menge davon. Viele Eltern sind auch noch für die Enkelkinder da, helfen bei der Betreuung, stehen mit Rat und Tat zur Seite, unterstützen manchmal auch mit Geld. Ist es dann nicht recht und billig, ihnen das später mal zurückzuzahlen?

Auf der anderen Seite denke ich: Den Eltern etwas zurückgeben müssen – das kann Menschen überfordern. Etwa wenn es um aufwändige Pflege geht. Nicht alle sind in der Lage, das selbst zu leisten. Wenn man womöglich gerade in der Zeit auch noch für die eigenen Kinder sorgen muss. Dann ist es schwierig, wenn die Eltern etwas einfordern (und sei es indirekt). Noch komplizierter kann es werden, wenn verschiedene Geschwister gegeneinander ausgespielt werden. Wenn zum Beispiel die Tochter, die weiter weg wohnt, für den Platz im Pflegeheim zahlen soll, und der Sohn einen Ort weiter soll die regelmäßige Betreuung übernehmen …

Inzwischen bin ich selber Vater. Und erlebe: Man gibt den Kindern nicht nur. Man bekommt auch ganz viel von ihnen. Ganz viel Liebe zum Beispiel, oder den Blick für die kleinen Dinge. Die Zeiten, in denen man Kinder vor allem zur Altersvorsorge geboren hat, sind zumindest in unserer Gesellschaft ja längst vorbei.

Umgekehrt – auch alte Menschen sind ja nicht nur hilfsbedürftig. Vieles können sie womöglich nicht mehr, das stimmt – aber dafür können sie andere Dinge geben. Altersweisheit zum Beispiel, oder einen gelasseneren Blick auf das Leben.

Deshalb fände ich es schön, wenn die Beziehung zwischen Eltern und Kindern in jeder Lebensphase etwa ausgeglichen ist. So, dass niemand das Gefühl bekommt: Nur ich stecke hier was rein – und will später etwas dafür zurückkriegen. Das sind mir die anderen doch schuldig!

Und wenn das doch passiert? Dann kann man darüber reden. Und überlegen, was man vielleicht ändern kann.

Was ist dann mit dem Vierten Gebot gemeint – „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren“? Vielleicht ja einfach das: Mit den Eltern im Gespräch sein und bleiben. Sich gemeinsam zurückerinnern an das, was war. Und weiter im Blick behalten, was man sich gegenseitig gibt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32948
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