SWR1 3vor8

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02APR2021
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Am Karfreitag 1724 wurde sie uraufgeführt: die Johannespassion von Johann Sebastian Bach. Für mich ist Bachs Vertonung untrennbar mit diesem Tag der Karwoche verbunden. Auch am Nachmittag, in der Liturgie zur Sterbestunde Jesu, steht die Passion nach Johannes im Mittelpunkt. Ich bin meistens einer der Sprecher sein, der sie vorträgt. Dabei entsteht für mich eine unglaubliche Nähe zum Leiden Jesu. Seine letzten Gedanken auszusprechen: Mich dürstet. Es ist vollbracht. Das sind ja nur ganz wenige Worte. Aber in ihnen steckt so viel von dem, was ein Mensch braucht und hofft.

Es ist aber das dritte der letzten Jesusworte im Johannesevangelium, das mich am meisten berührt: Frau, siehe dein Sohn. Sohn, siehe deine Mutter. Jesus stirbt am Kreuz. Und hat dabei immer noch die Kraft, nicht nur an sich zu denken, an seine Schmerzen, an den frühen Tod, der ihm bevorsteht. Er sieht auch die, die ihm nahestehen, die er liebt. Und versucht deren Verhältnisse so zu ordnen, dass er beruhigt aus dieser Welt scheiden kann. Das ist so menschlich. Und es berührt mich auch deshalb stark, weil ich es schon zweimal selbst so erlebt habe. Als mein Vater gespürt hat, dass er bald sterben wird, hat er mit mir ausführlich über das Danach gesprochen. Und seine Sorge galt mir und meiner Mutter, seiner Frau. Es war, als ob er den Jesussatz zu mir sagen würde: Sohn, siehe deine Mutter. Obwohl er ihn gar nicht kannte. Mein Vater war nicht vertraut mit derlei Sachen. Aber ich habe gut verstanden: Dass ich mich kümmern soll, wenn er nicht mehr da ist. Dass das meine heilige Pflicht ist. Dass ihm das wichtig ist, sich darauf verlassen zu können. So etwas wie sein Vermächtnis, in dem es nicht um Geld und materielle Sicherheiten geht, sondern um das, was am Ende bleiben muss, wenn sonst alles vergeht.

Das andere Mal war es so, als ich vor ein paar Jahren eine Operation hatte. Ich musste noch etwas auf die Einleitung der Narkose warten. Und auf einmal überfiel mich der Gedanke regelrecht. Das Wichtigste, was es gibt, wenn Du nicht mehr aufwachst: dass die versorgt sind, die Du liebst.  Weil das damals so über mich kam, denke ich mir: Das ist wohl so eine Art Ur-Impuls des Menschen. Und zeigt einmal mehr, wie sehr der Gott, an den ich glaube, Mensch geworden ist, bis ins Sterben hinein.

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