SWR2 Wort zum Tag

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13APR2021
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Sie sind die Aussteiger des frühen Christentum: Anachoreten. Diese Bezeichnung kommt vom griechischen Wort anachorein– sich zurückziehen. Ab dem dritten Jahrhundert beginnt dieser Trend in Ägypten. Menschen verlassen ihr Lebensumfeld und gehen in die Wüste. Dort leben sie als Eremiten. Jeder für sich in einer primitiven Hütte oder Höhle und doch verbunden in losen Kolonien, die sich um einen erfahren Eremiten, einen so genannten Wüstenvater, scharen. Oder um eine Wüstenmutter, denn es gab auch Frauen, was weniger bekannt ist. Wer einen Rat braucht, sucht einen dieser weisen Menschen auf und hofft von ihm einen Hinweis zu erhalten. Ein Wort, das weiterhilft und die unruhige Seele heilt.

Die Wüstenväter und -mütter sind schweigsam. Ihre Antworten sind keine langen Predigten. Manchmal führen sie einen Dialog mit dem Fragenden, oft antworten sie auch nur in einem kurzen Satz. Häufig schicken sie die Ratsuchenden dorthin zurück, wo sie hergekommen sind, aber geben ihnen dazu eine Aufgabe mit: „Geh zurück in deine Zelle, setz dich hin, schweige und werde still!“. Oder sie sagen: „Untersuche deine Gedanken, dann wirst du Ruhe finden.“

Der Kern ihrer Aussagen besteht darin, die Aufmerksamkeit auf sich zu richten, nach innen zu blicken und somit bei sich selbst anzufangen. Das ist für sie der Weg, mit sich und der Welt in Einklang zu kommen. Dazu sind sie in die Wüste gegangen. Aus ihrer eigenen Erfahrung wissen sie, dass dieser Weg nicht schnell zu einem Ziel führt, sondern immer wieder eingeübt werden muss. Deshalb mahnen sie die, die Rat suchen, geduldig und freundlich mit sich selbst umzugehen. Zum Beispiel: „Schweige und vergleiche dich nicht immer mit anderen“. Oder: „Wo immer du auch hingehst, urteile nicht über dich selbst – und du wirst Ruhe finden.“

Auch ich sehne mich öfters nach dieser „Herzensruhe“. Diese Sehnsucht spüre ich vor allem dann, wenn besonders viel los ist, der Druck steigt, und die Erwartungen an mich hoch sind. Dann wünsche ich mir manchmal heimlich, alles stehen und liegen zu lassen und irgendwo hinzugehen, wo niemand etwas von mir will. Natürlich verlasse ich nicht wie die Anachoreten mein Haus und meine Familie und gehe in die Wüste. Trotzdem versuche ich dem Rat der Wüstenväter zu folgen: „Setz dich hin, schweige und werde still.“ Es ist eine Übung. Wenn ich mich auf diese Weise zurückziehe, geduldig mit mir bin, schweige und still werde, dann stellt sich manchmal die Herzensruhe ein, nach der ich mich sehne, und die mir gut tut.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32911
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