Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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29MRZ2021
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Junge Leute sind ein Vorbild. Moment, könnte man sagen, ist das nicht verkehrte Welt? Müsste es nicht heißen: Junge Leute brauchen ein Vorbild?

In der Bibel steht ein Brief von einem älteren Mann an einen Jüngeren. Der Brief an Timotheus. Tim würde der heute bei uns heißen. Der Jüngere hat von dem Älteren offenbar einiges gelernt – das merkt man, wenn man den Brief liest. Jetzt ist er dabei, flügge zu werden. Er soll Verantwortung in einer jungen christlichen Gemeinde übernehmen: Impulse geben, seine Sichtweise einbringen und Leitungsaufgaben übernehmen. Der Ältere rechnet damit, dass es Konflikte geben wird, weil Tim noch so jung ist. Manche werden ihm das vorhalten, denkt er sich, ihm nicht zuhören und sagen: „Werd erst mal richtig erwachsen – dann kann man dich ernst nehmen. Wir wissen, wie der Laden läuft und wie das Leben funktioniert. Du nicht. Du kannst hier nicht mitreden.“

Also schreibt der Ältere dem Tim in seinem Brief etwas, was ich grandios finde: „Niemand soll Dich wegen deiner Jugend geringschätzen. Vielmehr sollst du ein Vorbild für die Glaubenden sein – in deinen Reden und in deiner Lebensführung. Sei auch ein Vorbild in der Liebe, im rechten Glauben und in der Rechtschaffenheit“ (1. Tim 4, 12). Was für ein Vertrauen in einen jungen Menschen! Tim als Vorbild. Die älteren sollen ihn ernstnehmen, ihm zuhören, und – jawohl – von ihm lernen. Dass Tim seinerseits die Älteren respektieren soll, steht auch in dem Brief. Respekt ist ja keine Einbahnstraße.

Tim ist mir eingefallen, als ich letzte Woche ein Seniorenheim besucht habe. Ich hatte dort Gottesdienst und musste vorher wie üblich den Corona-Schnelltest machen. Im Eingangsbereich habe ich auf das Ergebnis gewartet. Ein paar Stühle weiter saß Hanna. Hanna ist 15 Jahre. Ich kenne sie aus der Gemeinde. Sie hat auch auf das Ergebnis ihres Schnelltestes gewartet. Sie hat erzählt: ihre Oma lebt hier im Heim. Am Tag vorher hat sie mit ihrer Oma telefoniert und gemerkt: „Es geht ihr nicht gut. Sie klingt so deprimiert.“ Also hat Hanna beschlossen: Ich gehe gleich hin und schaue nach ihr. Ursprünglich hatte sie etwas anderes vorgehabt, aber jetzt war ihr der Besuch wichtiger.

Ich habe Hanna zugehört und mich über sie gefreut. Ein Vorbild, finde ich. Ich kann etwas von ihr lernen.

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