Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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27JAN2021
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Einem, der lebensmüde ist, zum Tod verhelfen. Darf man das? Darf das ein Arzt, eine Krankenschwester, der Freund? Das Bundesverfassungsgericht hat dazu im Februar des letzten eine Entscheidung getroffen. Fast unbemerkt, aber mit einer Tragweite, die beinahe auf den Kopf stellt, was bisher in unserem Land gegolten hat. Jetzt darf man - so wörtlich das Urteil - „seinem Leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende setzen“. Und weiter: „Die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, umfasst auch die Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen.“[1]

Darf man das wirklich? Das Bundesverfassungsgericht ist eine bedeutende Institution in unserem Land. Ich respektiere die Entscheidung. Und halte sie doch für falsch. Weil ich sie mit meinem Gewissen nicht vereinbaren kann. Ich könnte niemandem raten, seinem Leben ein Ende zu setzen. Ich würde mich nicht daran beteiligen und - Stand heute - es für mich auch nicht wollen.

Drei Gründe sind dabei für mich wesentlich.

Erstens. Ich halte es für einen kapitalen Irrtum anzunehmen, dass es ein Leben gibt, das ohne Schmerzen und Leid auskommt. Ich bin auch sehr dafür, dass niemand unnötig leiden muss. Und froh, dass unsere Medizin inzwischen gute Möglichkeiten hat, Schmerzen zu lindern. Wer vor der Angst bewahrt wird, allein zu sein und leiden zu müssen, wünscht sich nicht so schnell den Tod. Dafür müssen wir alles tun.

Ein zweiter Grund: Ich habe die große Sorge, aus der neuen Freiheit, selbstbestimmt sein Leben zu beenden, könnte ein Dammbruch werden. Und das Leben bewertet werden nach lebenswert oder nicht. Die Vorstellung auch noch in diesem Bereich nach Kosten und Nutzen abzuwägen, ist mir unerträglich.

Und drittens. Ich glaube an einen Gott, der das Leben will, nicht den Tod. Der mich antreibt, wo immer ich kann, etwas gegen den Tod zu unternehmen. Gegen die vielen kleinen Tode, die mir begegnen - wenn ein Schwacher unterdrückt wird, wenn Frauen gedemütigt und Fremde verachtet werden - und gegen den Tod am Ende des Lebens. Als Christ protestiere ich gegen den Tod in jeder Form. Und will ja sogar am Ende den leiblichen Tod nicht akzeptieren. Weil ich an eine Auferstehung glaube. Deshalb sträubt sich alles in mir, wenn ich daran denke, ich sollte jemandem zum Tod verhelfen.

 

[1]BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 26. Februar 2020 
- 2 BvR 2347/15 -, Rn. 1-343,
http://www.bverfg.de/e/rs20200226_2bvr234715.html

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32476
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