Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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27JAN2021
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Fast alle Bundesländer haben Antisemitismusbeauftragte. Sie sollen Judenfeindlichkeit und Diskriminierung entgegenwirken. Nur Bremen tanzt aus der Reihe. Hier gibt es keinen Antisemitismusbeauftragten. Selbst die jüdische Gemeinde hat sich gegen einen solchen Beauftragten ausgesprochen. Stattdessen kommen in Bremen viele Verantwortliche in einem Forum zusammen und engagieren sich für das jüdische Leben in der Stadt. Sie wollen nicht nur negativ Judenfeindlichkeit bekämpfen. Sie wollen positiv jüdisches Leben im Alltag sichtbar machen und fördern.

Die Bremer haben einen guten Zeitpunkt gewählt: Wir feiern dieses Jahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“. Diese Jahreszahl zeigt, es geht um mehr als sich an den Holocaust zu erinnern und Judenfeindlichkeit abzuwehren, so unverzichtbar beides ist. Seit 17 Jahrhunderten prägen auch Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland Kultur und Wissenschaft, Wirtschaft und Alltag- bis heute. Paul Ehrlich und Albert Einstein, Kurt Tucholsky und Stefan Zweig, Max Horkheimer und Hannah Arendt – diese bekannten Namen stehen für viele Menschen, die die Geschichte und Identität unseres Landes mitbestimmt haben. Unsere Kultur und unsere Sprache wären nicht dieselbe ohne jüdisches Leben.

Mit„1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ feiern wir deshalbnicht nurFolklore oder vergangene Geschichte. Es geht um lebendige Gegenwart, um jüdische Menschen und jüdisches Leben heute. Inzwischen gibt es immerhin wieder über 100 jüdische Gemeinden mit mehr als 100 000 Mitgliedern in Deutschland, immer noch wesentlichweniger als vor 1933. Doch jüdische Literatur, Buchläden und Musik, soziale Projekte, Schulen und Hochschulen – das alles zeigt eine größere Kraft jüdischen Lebens, alsdie  kleine Zahl vermuten lässt. Die großen jüdischen Museen, etwa in Frankfurt und Berlin, sind deshalb auch keine Altertumsstätten, sondernsie zeugen von einer langen gemeinsamen Geschichte bis in die Gegenwart.

Dieses Gedenkjahr gilt den Juden in Deutschland und zugleich uns allen. Ohne jüdisches Leben vorschnell zu vereinnahmen und ohne die schrecklichen Verbrechen an Juden zu relativieren, kannes für uns alle ein Anlass sein zum nachdenklichen Feiern.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32451
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