SWR2 Wort zum Tag

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09JAN2021
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Vor einiger Zeit habe ich mir einen Spruch über meinen Schreibtisch gehängt, der heißt: „Wenn die Wellen über mir zusammenschlagen, dann tauche ich hinab, um nach Perlen zu fischen.“ Der Satz stammt von der Dichterin Mascha Kaléko. Ich mag ihre Lyrik sehr. Sie klingt oft heiter und leicht, für mich hat sie aber auch eine Tiefe, die sich manchmal erst auf den zweiten Blick zeigt. So zum Beispiel bei dem Spruch über meinem Schreibtisch. „Wenn die Wellen über mir zusammenschlagen, dann tauche ich hinab, um nach Perlen zu fischen.“

Zunächst sagt das Zitat scheinbar nicht viel mehr, als dass eine Krise im Leben immer auch eine Chance ist. Es kommt eben nur darauf an, wie ich mich selbst dazu verhalte: Ich kann erstens: nichts tun und untergehen. Zweitens: mich retten lassen oder drittens: mich aus eigenen Kräften freischwimmen. 

Das Zitat bietet aber noch eine vierte Möglichkeit an: abtauchen.

Ich kann eine Krise nutzen, um meine Perspektive zu wechseln. Anstatt an der Oberfläche gegen die Wellen anzukämpfen, kann ich mich entscheiden, in die Tiefe zu gehen. Ich mache mich auf die Suche und hoffe, etwas Kostbares zu finden, auf das ich ansonsten nicht gestoßen wäre.

Tatsächlich aber ist das traditionelle Perlentauchen alles andere als ein Vergnügen. Die Taucher sinken dabei mit Gewichten an den Füßen bis zu fünfzig Meter in die Tiefe, um dort nach Muscheln mit Perlen zu suchen. Bis zu fünf Minuten bleiben sie unten, um dann mit Hilfe einer Leine nach oben gezogen zu werden. Das alles belastet den menschlichen Körper.

So ähnlich ist es meiner Erfahrung nach auch im echten Leben. Zuletzt sind mal wieder die Wellen über mir zusammengebrochen als beruflich und privat so viele Dinge gleichzeitig zu erledigen waren, dass ich überhaupt nicht mehr nachgekommen bin. In solchen Zeiten beginne ich mich zu fragen: warum mache ich das alles und was davon will ich wirklich?

Dann muss ich abtauchen und nach Perlen suchen. Das ist zunächst einmal anstrengend. Es kostet viel Kraft, weil ich mich dabei auch in meine eigenen Tiefen vorwagen und dort verweilen muss. Es gilt etwas zu suchen, was irgendwo in mir verborgen ist. Dabei ist alles, was sich zur gleichen Zeit an der Oberfläche abspielt, ja nicht einfach weg, sondern lastet als Druck auf mir.

Bei mir war es so: ich habe unter all den Aufgaben nach dem gesucht, was mir Kraft gibt. Ich habe neu entdeckt, was mir wichtig ist: Menschen begegnen, sie bei ihrem Engagement unterstützen und gemeinsam mit ihnen etwas gestalten. Bei all dem, aber auch mir selbst Zeit für Stille und zum Nachdenken zu nehmen.

Diese Perlen im Trubel des Alltags nicht zu verlieren ist schwer. Aber sie helfen mir Prioritäten zu setzen und so einen Weg raus aus den Wellen zu finden.

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