Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

09JAN2021
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Waren Sie schon mal im Knast? Ich schon. Zu Besuch. Eine Gefangenengruppe hatte mich eingeladen. Sie wollten mit der Frau reden, die sie aus dem Radio kannten. Ich hatte zuerst Angst, da hinzugehen. Dann war ich beeindruckt von der Ernsthaftigkeit, mit der sie ihre Fragen gestellt haben: Über Nächstenliebe wollten sie reden. Darüber, ob Gott wirklich allen Menschen vergibt. Und warum Menschen das nicht tun. Christen auch nicht. Ich war beeindruckt – auch von der älteren Dame, die ehrenamtlich jede Woche  auch so genannte „schwere“ Jungs in der JVA besucht und mit ihnen über solche Fragen redet.

Damals habe ich nicht daran gedacht. Aber inzwischen weiß ich, „Gefangene besuchen“ gehört zu den Werken der Barmherzigkeit, von denen Jesus gesagt hat: „Was ihr meinen geringsten Brüdern und Schwestern getan habt, das habt ihr für mich getan.“

Und immer öfter scheint mir: Gefangen sind nicht nur die, die im Knast sitzen. Gefangen sind manche auch in ihrer Angst – vor den Anforderungen der anderen oder davor, um Hilfe zu bitten. Manche sehen alles schwarz und können gar nicht mehr anders. Und manche sind gefangen in ihrer Meinung die sie haben, weil scheinbar alle um sie herum dasselbe meinen, denken und glauben. Filterblasen sagt man dazu. Auch in einer Filterblase kann man gefangen sein.

Auch da gilt: Gefangene besuchen ist wichtig und ein Werk der Barmherzigkeit. Man braucht allerdings auch dazu Mut. Und starke Nerven. Der Schüler Adolf Stögbauer hat die gehabt. Ich habe von ihm kurz vor Weihnachten in der Zeitung gelesen und ein Video gesehen. Adolf Stögbauer ist auf einer Querdenken-Demonstration in Niederbayern ans Mikrofon gegangen. Das Mikrofon stand für jeden offen. Er hat am Anfang seiner Rede Martin Luther zitiert: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“. Da haben sie ihn bejubelt. Dann hat er sich auf die Meinungsfreiheit berufen und sich als „glühender Kritiker“ der Querdenken-Bewegung geoutet. Zuerst waren die ungefähr 100 Teilnehmer der Demo verblüfft. Dann haben sie ihn ausgepfiffen und ausgebuht. Aber der junge Mann hat ganz ruhig auf seiner Meinungsfreiheit bestanden bis er mit seiner 10minütigen Rede zu Ende war.

Ich glaube die Leute waren beeindruckt. Sie haben sich  wahrscheinlich nicht überzeugen lassen. Aber dass es mit Meinungsfreiheit nichts zu tun hat, wenn man Andersdenkende auspfeift und ausbuht. Das haben sie verstanden.

Gefangene besuchen. Man kann das auch so machen wie Adolf Stögbauer. Der sagt: „Es lohnt sich immer zu diskutieren.“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32353
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