Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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08JAN2021
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Eine Kultur der Barmherzigkeit empfehlen viele für das neue Jahr. Nicht bloß die Kirchen. Jesus hat erklärt, wie Menschen miteinander umgehen sollen, damit das Leben gut wird. Kranke besuchen, zum Beispiel, das war ihm sehr wichtig. „Wer einen Kranken besucht, der besucht mich“. Kranke zu besuchen gilt seither als ein Werk der Barmherzigkeit.

Nun ist das im Moment nicht so einfach. Von hochansteckenden Viren wusste Jesus vermutlich nichts und die Kirchenväter wohl auch nicht. Gerade Alte und Kranke gehören zur Hochrisiko-Gruppe und man muss vorsichtig sein mit den Besuchen. Man braucht nach Möglichkeit einen Schnelltest, eine Maske sowieso, Abstand auch. Auf der anderen Seite ist für Alte und Schwerkranke und Sterbende oft ein Besuch wichtiger als alles andere. Sie sollten nicht allein bleiben müssen, weil andere sie schützen wollen.

Für solche Besuche  hilft vielleicht  die jüdische Weisheit: „Wenn du einen Kranken besuchst, setze dich nicht auf sein Bett! – Warum? Weil dort die Gegenwart Gottes ist.“

Wenn man nicht zur nächsten Familie gehört, kann man im Moment Kranke wahrscheinlich nicht besuchen. Aber man kann anrufen. Viele haben Angst vor solchen Besuchen und Anrufen. Was soll ich da sagen, fragen sie sich. Wie leicht das schiefgehen kann, erzählt schon die Bibel.

Den schwerkranken Hiob besuchen seine Freunde. Und eine Weile schweigen sie voller Anteilnehme. Aber dann fangen sie an zu fragen: „Was hast du bloß getan?“ Vielleicht wollen sie bloß sich selbst bestätigen: Mir könnte das ja nicht passieren. Ich habe alles richtig gemacht, Sport getrieben, ich rauche nicht, trinke fast gar nicht, meide jeden Stress, lebe gesund, halte Abstand. So ein Besuch, der nach Ursachen sucht, der hilft einem Kranken sicher nicht.

Was aber dann? Ich glaube, gut ist ein Besuch oder ein Anruf, der erst einmal zuhört. Und wenn der Kranke nicht reden mag oder nicht reden kann: Dann: ruhig erstmal schweigen. Und vielleicht erzählen! Vom Leben erzählen. Was draußen passiert – nicht das, was einem Sorgen macht. Sondern das, was einem Freude macht. Wer davon erzählt, der macht dem anderen Lust aufs Leben, glaube ich. Oder er weckt Erinnerungen und Dankbarkeit für das, was der Kranke selbst schon erlebt hat. Solche Besuche, solche Anrufe, die sind barmherzig.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32352
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