Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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11JAN2021
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Die Theologin Dorothee Sölle beschreibt den Menschen als Wesen, das warten kann. Es gehört zu unserer Natur, dass wir uns nach etwas sehnen, es aber nicht sofort haben können. Um nicht an unseren Visionen zu verzweifeln, sondern sie wach zu halten, warten wir.

Allerdings will dieses Warten Können gelernt sein. Sölle sagt: Das ist jedem klar, der kleine Kinder beobachtet. Sie haben große Mühe zu begreifen, dass „gleich“, „später“ oder „morgen“ nicht heißt: „Niemals“. Für sie gibt es nur hier und jetzt. Deshalb haben sie manchmal auch Angst, wenn die Mama oder der Papa aus dem Zimmer geht, dass das für immer sein könnte.

Warten Können will also gelernt und eingeübt sein. Eine Übung, die uns alle nun schon seit Monaten beschäftigt, die bisweilen nervt und ungeduldig macht. Vor allem, weil eben niemand so genau sagen kann, wann der Spuk vorüber sein wird.

Für mich hat Warten Können viel mit Geduld zu tun. Ich muss aushalten, was ich momentan nicht ändern kann. Ruhe bewahren und dennoch tun, was mir möglich ist. Warten können hat für mich deshalb nichts mit „die Hände in den Schoß legen“ zu tun. Es ist mitunter echte Arbeit.

Oder wie Sölle sagt: „Alle Lebenden warten, das bedeutet nicht einfach ein Fortdauern in der Zeit, das über die Gegenwart hinausreicht. Ein Mensch kommt nicht so vom Heute ins Morgen wie ein Stein! Sich zur Zukunft verhaltend sorgt er, fürchtet er sich und er hofft.“ (aus Dorothee Sölle, Wortschätze, Stuttgart 2009)

Vor allem der letzte Satz beschäftigt mich: sich zur Zukunft verhaltend, sorgt er – fürchtet er sich – und er hofft.“  Alle drei sind für mich Fähigkeiten: sich sorgen im Sinne von sich kümmern, sich fürchten und hoffen können: Kraftquellen, die mir helfen durch schwierige Zeiten zu kommen.

Ich vertraue fest darauf, dass jeder seinen Teil dazu gibt, dass das Virus besiegt wird.  

Und ich bin nach wie vor dankbar, in einem Land leben zu dürfen, in dem so viele sich um das Wohl der älteren Menschen und Schwachen kümmern.

Dass wir auch unsere Ängste ernstnehmen. Das was uns Sorgen macht, nicht herunterspielen, sondern einander mit Respekt begegnen. Das wünsche ich mir.

Und dass wir miteinander eine Kultur des „Warten Könnens“ einüben, in der die Zuversicht die Oberhand behält.  

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32318
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