Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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02JAN2021
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Der ganze Erdball, mit einer Mund-Nasen-Maske. Das hab ich als Karikatur gesehen. Und ich konnte nicht mal schmunzeln darüber, wie sonst bei Karikaturen. Weil mich die Tatsache dieser weltumspannenden Pandemie fassungslos gemacht hat. Von Alaska bis Feuerland, von Peking bis Paris - überall hat sich dieses schreckliche Virus ausgebreitet, überall wird es bekämpft und die ganze Welt trägt diese Masken, mit denen sich die Menschen selbst und gegenseitig schützen. Ich hab mich bis heute nicht an sie gewöhnt. Natürlich trag ich sie trotzdem. Und wie leid tun mir die Menschen, die diese Masken tagtäglich tragen müssen, stundenlang. In der Pflege, in der Schule, im Supermarkt, im Krankenhaus. Man meint sie nehmen einem den Atem. Das tun sie aber nachweislich wohl nicht. Trotzdem kann man damit nicht frei atmen.
Atmen - „I can’t breathe“ – ich kann nicht atmen, war der letzte Satz, des Afroamerikaners George Floyd, bevor er unter dem Knie eines Polizisten erstickt ist. „I can breathe“, ich kann atmen, stand auf dem T-Shirt einer jubelnden Amerikanerin nach dem Wahlsieg von Joe Biden. Unter einer ganz eigenen, fürchterlichen Atemnot leiden Corona-Patienten, bevor sie beatmet werden müssen. Wie unbeschreiblich schön muss das sein, wenn sie wieder selbst atmen können. Und wie unbeschreiblich traurig, wenn sie den letzten Atemzug getan haben.
Atmen können, aufatmen, wieder frei atmen können, das ist mein Wunsch für 2021. Persönlich aufatmen, dadurch dass ich diese Maske abnehmen kann und mir der Wind um die Nase weht, als ob mein Gesicht nacktbaden würde. 
Mitmenschlich aufatmen, dadurch, dass ich Menschen wieder lächeln sehe, mit dem ganzen Gesicht. Befreit von dieser unsichtbaren Dauer-Bedrohung und eine neue alte Nähe erleben mit Händedruck und Umarmungen.
Politisch aufatmen, dadurch dass es mir weniger oft den Atem verschlägt durch Staatsmänner, die die Demokratie mit Füssen treten und den Frieden bedrohen.
Und ökologisch aufatmen, dadurch dass unser Erdball wieder richtig durchatmen kann, wenn seine grüne Lunge, die Urwälder nicht mehr abgeholzt werden.
All das wünsche ich mir und Ihnen für das neue Jahr. Und für all das bete ich. Aber nicht um ein Geschenk, das vom Himmel fällt. Sondern darum, dass wir Menschen all das schaffen. Durch Geduld, Klugheit, Disziplin, Mut und Zuversicht. In 2021 und weit darüber hinaus…

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32316
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