SWR1 3vor8

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20DEZ2020
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Gabriel und Maria. Der Engel und die junge Frau. Ungezählte Künstler hat diese Szene zu einem Bild inspiriert. Maria sitzt in ihrem Zimmer, in Andacht versunken. Gabriel bringt ihr die Nachricht, dass Gott sie ausgewählt hat. Sie braucht nur noch „Ja“ zu sagen. Aber wozu!? Zu einer plötzlichen, ungeplanten Schwangerschaft, ohne irdischen Kindsvater. Erst jetzt nimmt die Geschichte richtig Fahrt auf. In Marias Kopf geht es drunter und drüber. Gottvertrauen und Angst prallen ungeschützt aufeinander. „Wer? Ich? Nein! Ich habe einen Freund, einen Verlobten. Ich bin blamiert. Das ist zu viel.“ Gleichzeitig aber auch: „Soll ich? Wenn ER es will …“ Der Engel: Fürchte dich nicht! Maria: Mir geschehe, wie du es gesagt hast. Dann ist die Szene zu Ende, die Geschichte nimmt ihren Lauf. Nächste Szene: Geburt im Stall. Das ist dann in vier Tagen dran. In der Weih-Nacht. Die vom gleichen Autor stammt. Vom Evangelisten Lukas.

Lukas ist ein Meister des Kopf-Kinos. Wenn er etwas erzählt, dann entstehen Bilder und sie beginnen zu leben. Ich kann mich wunderbar hineinversetzen in die Szenen, die er entwirft. Wie Maria und ihr Freund einen Platz suchen für die eigenartige Schwangerschaft. Der Stall und die Geburt bei den Tieren. Die Hirten auf dem Feld. Das sind schlichte und schöne Bilder. Aber sie bewirken in mir mehr. Ich kann mir viel besser vorstellen, wie Gott vorgeht und was er beabsichtigt. Dass da eben eins und eins nicht immer zwei ergibt. Dass er auf krummen Lebenslinien gerade schreibt. Wie sich eins zum anderen fügt, oft unerwartet und gegen den gewohnten Strich gebürstet. Die Bilder des Lukas helfen mir zu verstehen; sie berühren aber auch mein Gefühl. Im Rückblick frage ich mich: Was ist in mir vorgegangen, als ich so jung war wie Maria, ein Schüler noch, und gespürt habe, dass Gott mich begeistert? Es hat mich auch Mut gekostet, meinen Weg zu gehen, Widerstände aus dem Weg zu räumen, die von außen kamen und aus meinem Inneren.

Es sind einfache und gleichzeitig ursprüngliche Bilder, die Lukas in seinen Geschichten verwendet. Sie bekommen eine aktuelle, sogar persönliche Bedeutung, wenn ich sie auf meine eigene Person beziehe, und auf die Welt, in der ich lebe. 

Die Geschichte von Gabriel und Maria wird heute am Vierten Advent in den katholischen Gottesdiensten erzählt. Auch in dem, der um 10:15 Uhr im SWR Fernsehen übertragen wird. 

Ich wünsche Ihnen einen schönen Adventssonntag und noch gute Tage bis Weihnachten.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32247
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