SWR2 Wort zum Tag

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01DEZ2020
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„Christus ist mein Leben und Sterben mein Gewinn.“ Christlich betrachtet ist sicher gut, wenn man so denken kann wie Paulus in der Bibel schreibt. Locker dem eigenen Ende entgegensehen, den Tod nur als eine Art Durchgangsstadium zum ewigen Leben betrachten, als Erlösung. Ein Gewinn wirklich, wenn man bedenkt, womit man sich hier auf der Erde rumschlagen muss, Corona, Islamismus, Umweltkatastrophen. Aber wenn ich bei meinem letzten Klinikaufenthalt auf eines wirklich keine Lust hatte, dann auf Sterben.  

Einen Tag vorher hatte ich auf der Straße ein kleines, blondes Mädchen gesehen. Etwa zehn Jahre alt. An der Leine führte die Kleine einen winzigen, jungen Dackel. Und rührend: der Stolz des kleinen Mädchens, den eigenen jungen Hund Gassi zu führen. Im Moment schien es mir ein ungeheures Geschenk des Lebens, so etwas Zartes, Schönes sehen zu dürfen.

Kann gut sein, dass Paulus tief in Gedanken an den Gewinn des Sterbens Mädchen und Hund einfach übersehen und weiter vor sich hingemurmelt hätte: Sterben - ein Gewinn. Aber Paulus, als Patient in der Medizinischen Klinik heute, wäre jeden Tag mit der Angst vor dem Tod konfrontiert. Und damit, dass er mit seiner Ansicht „Sterben – ein Gewinn“ so ziemlich alleine dasteht. Einen Patienten, der nachts vor der OP kein Auge zukriegt, tröstet so ein Satz in den seltensten Fällen. Aber was tun gegen diese Angst?

Ich habe ausprobiert: Ruhig Atmen, das hatte ich aus dem Yogakurs, bewusst, langsam und tief. Das hilft manchmal ein bisschen. Dann: sich von Freunden und Verwandten beruhigen lassen. Das kann zwar auch daneben gehen, weil sie ohne viel zu denken einem erzählen, dass genau bei diesem Eingriff ihr Onkel fast gestorben wäre – aber die meisten wissen schon, dass man so etwas nicht gerade hören möchte. 

Was immer gut ist: sich vor Augen führen, was lebenswert ist: kleine, stolze Mädchen mit Hunden, Sommertage an der See, der Garten im Frühling. Und: denken an das, was bisher im Leben alles trotz Sorge und Angst gutgegangen ist. Den Ärzten und allen, die bei der OP dabei sind, vertrauen. Misstrauen hat da ja eh keinen Sinn mehr.  Da hilft dann nur noch denken: ja, ich habe mich dazu entschieden, es war auch mein Wille.

Und schließlich, das würde auch der alte Paulus raten: beten. Das Vaterunser, wenn man es noch auswendig kann. Oder einfach: Bitte hilf, bitte, lass es gut ausgehen. „Wenn der Mensch betet, so atmet der Gott in ihm auf.“ (Hebbel TB) Der Gott, bei dem nicht nur das Sterben ein Gewinn ist, auch das Leben. Und der gesagt hat. „Ich lebe und auch ihr sollt leben.“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32132
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