SWR2 Wort zum Tag

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25NOV2020
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Jesus muss man eigentlich nicht verbessern, aber ich habe es trotzdem mal versucht: Seinen berühmten Satz „Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst“ habe ich umgedreht, und dann heißt er: „Liebe dich selbst, wie deinen Nächsten“.

Eigentlich ändert es nicht viel am Sinn des Satzes. Es verschiebt sich nur etwas der Akzent.

Den ursprünglichen Satz „Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst“ verstehe ich so: Was ich für mich selbst wünsche, das soll ich auch anderen zugestehen. Ich soll sie so behandeln, wie ich auch mit mir selbst umgehen würde: Mich nicht nur darum kümmern, dass es mir gut geht, sondern auch dafür sorgen, dass sie es guthaben.

Zugegeben, das gelingt mir nicht immer. Aber ich habe den Eindruck, andersrum gelingt es mir noch seltener. Tatsächlich glaube ich, dass ich mit anderen Menschen oft liebvoller umgehe als mit mir selbst.

Wenn ein Kollege bei der Arbeit einen Fehler macht und sich dann maßlos über sich selbst ärgert, versuche ich ihn zu beruhigen: Jeder macht mal einen Fehler, und die Folgen sind weniger dramatisch als du meinst. Für einen guten Freund bin ich gerne da, wenn es ihm schlecht geht. Ich versuche ihn zu verstehen und ihm Mut zu machen. Von meinen Kindern erwarte ich, dass sie ihre Hausaufgaben ordentlich machen, für Tests lernen und regelmäßig ihr Instrument üben. Zugleich aber möchte ich sie vor zu viel Druck beschützen. Sie sollen spüren, ihr seid gut so wie ihr seid, auch wenn mal was daneben geht.

Und wie gehe ich mit mir selbst in vergleichbaren Situationen um? Bei eigenen Fehlern bin ich weniger gnädig. Wenn es mir schlecht geht, denke ich oft: Hab dich nicht so oder: selbst schuld. Und manchmal erwarte ich zu viel von mir. Und wehe, wenn ich dann dabei scheitere.

Wenn ich jetzt den Satz von Jesus umdrehe, hilft mir das weiter. „Liebe dich selbst, wie deinen Nächsten“ bedeutet dann, dass ich mich frage: Was würde ich tun, wenn nicht ich, sondern ein anderer in meiner Situation wäre? Wie würde ich mich in einem solchen Fall zu einem Menschen verhalten, den ich liebe? Wenn ich mir das überlege, gelingt es mir besser, freundlich mit mir selbst umzugehen. Ich lerne mich selbst ein bisschen mehr zu lieben.

Von dieser Strategie profitiere aber nicht alleine ich, davon bin ich überzeugt. Wenn ich mich auf diese Weise selbst mehr liebe, spüren das auch alle anderen, weil ich auf einmal auch für sie mehr Verständnis habe.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32103
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