Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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17NOV2020
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Helmut und ich kennen uns aus Kindertagen. Wir waren gemeinsam Ministranten und Chorknaben. Nach der Schule haben wir uns aus den Augen verloren. Beim Klassentreffen haben wir vor allem in Erinnerungen geschwelgt. Wir haben über Gott und die Welt geredet. Helmut ist Ingenieur und Kirchengemeinderat. Er sagt, dass er sich in der Gemeinschaft geborgen fühlt. Dass Menschen aus der Kirche austreten, macht ihm Sorgen.
Ich erzähle ihm von mir: Regelmäßig in die Kirche gehen ist für mich kein Gradmesser mehr. Ich glaube „Gott ist überall gegenwärtig und berührbar wie eine Atmosphäre, in die wir eingetaucht sind. Er umhüllt uns von allen Seiten, […].“ So beschreibt es der französische Jesuit Pierre Teilhard de Chardin.
Helmut überlegt. „Die Religion aus unserer Kindheit hat mir über all die Jahre Halt gegeben. Bisher bewahre ich mir meinen Kinderglauben, alles andere war mir zu kompliziert.“ Helmut und ich diskutieren über verschiedene Vorstellungen vom „allmächtigen Gott“. Die Bibel bietet viele Gottesbilder. Nicht alle stimmen für mich heute noch. Manche davon sind einfach überholt. Das Bild von einem Gott, der wie ein Richter Ordnung schaffen will und eine gewisse Moral einfordert, das lehne ich zum Beispiel ab. Es stammt aus einer Zeit mit einem völlig anderen Weltbild. Ein strafender Gott wird viel zu oft machtpolitisch missbraucht. Für mich sind vernünftige Erklärungen wichtig. Die Schöpfungsgeschichte in sieben Tagen ist sprachwissenschaftlich ein Lied: Es besingt symbolisch einen Schöpfer als Ursprung. Das Lied beschreibt das Leben auf dieser Erde, deutet die Welt, den ganzen Kosmos als Schöpfung. Für andere Religionen damals war das schockierend: Sonne, Mond und Sterne sind keine lebendigen Götter, deren Gunst man sich verdienen muss, sondern einfach Laternen am Himmelszelt. Einmalig ist auch, dass der biblische Mensch als Ebenbild des Schöpfers göttlichen Charakter hat. Die Geschichten anderer Kulturkreise über den Ursprung sind oft viel dramatischer und blutiger. Der Mensch ist dort nur Spielball oder Untertan. Wenn ich dagegen das Loblied mit den sieben Strophen in der Bibel betrachte, ist es für mich eine persönliche Kraftquelle. Ich bin überzeugt, dass das Gute, das Wahre und das Schöne immer lebendig bleiben werden. Ich glaube die Schöpfung entwickelt sich ständig weiter. Der Dichter Christian Morgensternantwortet auf die Frage „Was ist Religion?“: „Sich in alle Ewigkeit weiter und höher entwickeln wollen.“Ich bin erstaunt als Helmut darauf sagt: „Das gilt dann wohl auch für unsere Gottesbilder.“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32043
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