Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

13NOV2020
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Nicht jeder hat Familie um sich. Manche Familien wohnen zu weit auseinander, Bei anderen ist der Kontakt abgebrochen. Vielleicht sind in der Familie schlimme Dinge vorgefallen. Vielleicht hat es Missbrauch gegeben, oder ein Jugendlicher ist nach seinem Coming Out verstoßen worden. Das ist für die jungen Menschen doppelt schlimm, denn nach solch einem Erlebnis bräuchte es ja erst recht eine Familie, in der man sich geborgen fühlt. Wenn ich solche Geschichten mitbekomme, möchte ich so gerne helfen, soweit mir das möglich ist. Und mir macht dazu eine Geschichte aus der Bibel Mut. Sie ist von zwei Frauen: Ruth und Noomi. Die eine ist die Schwiegertochter und die andere die Schwiegermutter. Die beiden hatten herbe Schicksalsschläge hinter sich und am Schluss hatten sie sich nur noch gegenseitig. Da haben sie sich entschieden, beieinander zu bleiben. Es war ihnen wichtig, sich gegenseitig zu stützen. Gerade die junge Noomi hat sich für Ruth entschieden, für die Wahlverwandtschaft. Sie haben einander Rat gegeben und vor allem: Geborgenheit. Und gemeinsam haben sie wirklich neues Leben gefunden.

Die Geschichte zeigt mir, dass Wahlverwandtschaften keine Verwandtschaften zweiter Klasse sind. Sie haben das Potential, zur echten Familie zu werden. Für alleinstehende Männer und Frauen, für Kinder, die nicht zurückkönnen oder für Jugendliche, die in der Nähe keine Verwandten haben. Der Bedarf nach Familie ist groß in unserem Land. Es werden dringend Pflegefamilien für Kinder und Jugendliche gebraucht, wenn sie kurzzeitig oder auf Dauer untergebracht werden müssen. Pflegeeltern leisten wunderbare Arbeit. Denn es braucht viel Zeit und Geduld und Toleranz und Liebe, bis die Kinder und Jugendlichen nach ihren schrecklichen Erlebnissen wieder Vertrauen fassen. Das kann nicht jeder. Doch es gibt auch leichtere Wege, um für andere zur Familie zu werden. Eine Landwirtin nimmt ein traumatisiertes Kind regelmäßig mit aufs Feld und in den Stall. Das tut dem Kind gut. Ein Senior ist als Lernpate aktiv und gibt einem Kind so Struktur bei den Schularbeiten. Eine Familie klingelt jeden Tag beim alleinstehenden Nachbarn und schaut, dass es ihm gut geht. Denn auch viele, die längst erwachsen sind, sehnen sich nach einer Familie. Vielleicht kennen sie auch Leute, die eine Familie brauchen. Und vielleicht können sie ihnen zeigen, dass Familie auch als Wahlverwandtschaft funktionieren kann.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32016
weiterlesen...