Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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04NOV2020
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Probieren, sagt man, geht über Studieren. Ich komm damit oft ziemlich weit. Zum Glück, denn Bedienungsanleitungen durchzuackern ist nicht so mein Ding. Deshalb versuch ich‘s erst mal mit meinem Laienverstand und meiner bisherigen Erfahrung. 

Das Ausprobieren ist für mich überhaupt ein wichtiges Lebensprinzip: Wenn ich etwas anfange, muss ich noch nicht alle Schritte kennen, oft ist das auch gar nicht möglich. Dann gilt: einfach anfangen. Und oft merke ich dann, dass der Weg tatsächlich erst dadurch entsteht, dass ich ihn gehe. Dass ich Schritt für Schritt vorwärts komme. Dass ich auch innehalten kann und mich umschauen, wo‘s jetzt weitergeht. 

Natürlich hat das Prinzip Ausprobieren auch Grenzen. Natürlich muss ich auch Entscheidungen treffen, die mich festlegen und die ich nicht so einfach rückgängig machen kann. Vor allem dann, wenn es nicht nur um mich geht. Sondern auch um Partner, Freunde, oder gar Kinder. Da kann ich nicht auf Probe leben und morgen einfach was Neues ausprobieren. 

In einem jüdischen Weisheitsbuch gibt es einen wunderbaren Satz: „Der Mensch wird des Weges geführt, den er wählt.“ Es ist eigentlich ein Paradox. Entweder ich werde geführt, oder ich kann selbst wählen. Beides geht nicht. Sagt mir mein logischer Verstand. Aber mein Leben spricht eine andere Sprache: Gerade, wenn etwas nicht so gelaufen ist, wie ich’s gewünscht und geplant hatte, hat sich schon manchmal etwas anderes ergeben, auf das ich sonst nie gekommen wäre. Zum Beispiel Seelsorgerin zu werden, und eben nicht Chemie zu studieren, was ich als Jugendliche unbedingt gewollt hatte. Heute denke ich, es hat gestimmt so. 

Ich weiß nicht, welche Pläne Gott für mein Leben hat. Oder für das Leben anderer Menschen. Oder für unsere Welt. Aber ich glaube, dass er uns mit unserem Suchen und Planen nicht allein lässt. Auch jetzt nicht, in dieser schwierigen Zeit. Ich vertraue darauf, dass er uns führt, wenn wir eigene Pläne machen. Wenn wir Schritt für Schritt einen Weg suchen, der uns durch diese beklemmende Unsicherheit hindurchführt. Wenn wir unsere Kräfte bündeln. Wenn wir die Jungen verstehen mit ihrer Sehnsucht nach unbeschwertem Leben, und die Alten schützen mit ihrer fragilen Gesundheit. Kein leichter Weg, den die Verantwortlichen und wir alle miteinander da finden und gemeinsam gehen müssen. Kein leichter. Aber ein geführter.

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