Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Seit ich wieder arbeite, kann ich den Mann meiner Freundin gut verstehen.
„Er kommt abends heim und sitzt einfach nur da“, beschwert sie sich. „Er sagt kein Wort und lässt die Kinder machen, was sie wollen.“ Bisher fand ich das unmöglich.

Aber wie gesagt, seit ich voll arbeite und mein Mann in Elternzeit ist, kann ich das zum ersten Mal verstehen. Dass man abends völlig fertig ist. Dass einen die vielen Gespräche und Begegnungen am Tag abends stumm machen und dass einem bei all den beruflichen Problemen manchmal die Energie für die Erziehung der Kinder fehlt.
Und dann muss ich mich wirklich anstrengen, um mich zu erinnern, wie das war, als ich mit den Kindern zuhause war. Dass ich da oft gewartet habe, dass mein Mann endlich kommt und die Kinder nimmt und sich verantwortlich fühlt.
Jetzt ist es umgekehrt.

„Einer trage des anderen Last“ (Gal 6,2), heißt es in einem Brief in der Bibel.
Ich finde, die Elternzeit ist eine gute Möglichkeit, das mal wirklich auszuprobieren - die Last des anderen zu tragen. Da kann man auf Zeit die Rollen tauschen. Wer vorher zuhause war, geht arbeiten, und wer bisher außerhalb gearbeitet hat, bleibt bei den Kindern und übernimmt die Hausarbeit.
Da wird dann ganz schnell deutlich, dass die Lasten eben verschieden sind. Plötzlich schaut man die Welt mit den Augen des anderen an und alles sieht ein bisschen anders aus als erwartet.
Da versteht auf einmal eine arbeitende Mutter, wie man sich nach einem vollen Arbeitstag fühlt. Und ein haushaltender Vater merkt, dass die Tage zuhause irgendwie alle gleich sind. Und trotzdem passiert ständig etwas Unvorhergesehenes, das einen stresst. So dass man abends auch total k.o. ist.

So ein Tausch kann einem helfen, mehr zu schätzen, was der andere tut. Und besser zu genießen, was man selber macht.
Ich glaube, dann kann man die Last des anderen auch noch mal anders mittragen. Weil man selber erlebt, was besonders schwer ist und wo es anstrengend ist.
Ich habe mir jedenfalls überlegt: wenn wir im nächsten Jahr wieder beide arbeiten, dann darf abends jeder mal ein bisschen schweigen. Und die Kinder dürfen dafür ein bisschen mehr toben.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=3188
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