Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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21OKT2020
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Leben heißt Entwicklung, das ist fast schon eine Binsenweisheit, bei Beziehungen aber nicht. Denn so stabil und unveränderlich Freundschaften oder Liebesbeziehungen auch sein müssen, ebenso wichtig ist es sich zu verändern und sich zu entwickeln. Bleibt zu viel gleich und unverändert verliert sich die Lebendigkeit und die Beziehung gerät in Gefahr. Das muss aber nicht sein. Beziehungen können sich entwickeln und gerade dadurch Jahre, ja Jahrzehnte halten. Fachleute* sprechen von fünf Phasen die dabei helfen, dass Paarbeziehungen lebendig bleiben.
Die erste: natürlich die Phase der Verliebtheit. Dieser wunderbare Zustand auf Wolke 7, in dem zwei Seelen samt ihren Körpern verschmelzen. So schön, so wichtig und so zeitlich begrenzt. Denn irgendwann kommt, ja, muss die zweitePhase kommen: die des Widerstandsgegen diese Verschmelzung. In der sich zeigt, dass der oder die Andere nicht nur meinen Wunschvorstellungen entspricht. Das ist so enttäuschend wie notwendig, weil man nur dann sehen kann, wie der oder die andere wirklich ist, mit allen Fehlern und Macken. So lösen sich die Verliebten aus ihrer Verschmelzung und gehen etwas auf Distanzzueinander. Das ist dann die drittePhase, in der man den oder die Andere klarer erkennt.

Mit allen Stärken und Schwächen. Was wiederum die Voraussetzung für die viertePhase ist: die der Wiederannäherung. In der man die Stärken des anderen zu schätzen weiß, seine Schwächen akzeptiert und bestenfalls augenzwinkernd mitliebt. Was dann zur fünftenund letzten Entwicklungsphase von Paarbeziehungen führt: Der Vereinigung auf einer reiferen Stufe. Da kann es durchaus auch immer wieder prickeln wie in der Phase der Verliebtheit, aber anders. Nicht ganz so euphorisch, aber tiefer, wissender. Nicht ganz so ekstatisch, aber dankbarer. Nicht mehr untrennbar eins, sondern getrennt eins. Und zwar so, dass der andere mich manchmal besser zu kennen scheint, als ich mich selbst. Und mir dabei hilft, zu dem zu werden, der ich wirklich bin. Oder wie der Schriftsteller Peter Handke es einmal ausgedrückt hat: „Liebe ist das Gespür für die Gestalt des anderen.“

  

*Hans Jellouscheck, „Warum hast du mir das angetan? Untreue als Chance“, Piper Verlag, München, 2011.

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