SWR4 Sonntagsgedanken

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11OKT2020
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Ich sollte als Pfarrer ein Kind taufen. Das Besondere: Die Familie väterlicherseits stammt aus Osterberlin. Gott und Religion spielen bis heute in der Familie nur eine kleine bis gar keine Rolle. Die Familie mütterlicherseits stammt ebenfalls aus Osterberlin. Die ist aber stark christlich geprägt und war auch in der Friedensbewegung der Kirche in der DDR aktiv.

Was sollte ich bei dieser Taufe tun? Ohne von Jesus Christus zu reden, kann man ein Kind nicht taufen. Es wird ja in seinem Auftrag und auf den Namen Gottes getauft. Ich habe bei dieser Taufe von einem Kinderbuch erzählt.. Es spielt im Tierreich und heißt „Irgendwie anders“. In diesem Buch wird eine Geschichte über den Herrn Anders erzählt. Der ist anders als die anderen und darf deshalb nicht mit ihnen spielen. Niemand will mit ihm essen. Und sie grüßen ihn auch nicht. Was er auch macht, er findet keinen Anschluss.

Eines Abends klopft es bei Herrn Anders und ein ganz merkwürdiges Tier steht vor der Tür. Es ist ein Etwas. Erst will Herr Anders, dass das Etwas sich davonschert. Dann aber freunden die beiden sich doch an. Am Ende klopft ein Junge an die Tür. Und obwohl der ganz anders ist, schicken sie ihn nicht weg, sondern sitzen ein bisschen zusammengerückt zu dritt auf einem gemütlichen Ohrenbackensessel.

Dann habe ich gesagt: Diese Geschichte könnte Jesus erzählt haben. Gerade, wenn man an die Taufe denkt,. Denn, auch wenn sie unterschiedliche Menschen sind, mit der Taufe haben die Getauften eine Gemeinsamkeit, die sie eng verbindet. Wenn wir andere nicht auf ihr Anderssein reduzieren, würde das der Welt gut tun. Ich wünsche der Familie und den Paten, dass sie ihr Kind in diesem Gedanken auf dem Lebensweg begleiten.

Nach dem Taufgottesdienst  hat der Ostberliner Großvater des Kindes zu mir gesagt: „Ick hab ja mit Jott nix am Hut, wa. Meene Jroßmutter, die war ja fromm, aber die hat dit nüsch weiterjejeben und dann kam dit nüsch bei mir an. Aber ick denk mir ooch, dattma eenfach ooch n juta Mensch is und sein sollte. Und ick nehm mir von die Relijonen immer wat mit und denk, dit is jut so. Und det hatma jefallen heute.“

Wissen Sie, ich glaube, dieser Mann hat etwas Wichtiges verstanden. Er will nicht nur vom Christentum, er will von allen Religionen lernen. Und mir kommt es auch in manchen Stellen in der Bibel so vor, als würde die Bibel über Christentum und Judentum hinausgehen. An einer Stelle heißt es sinngemäß: „Was ich, Gott, Euch sage, ist überhaupt nicht unverständlich. Ich möchte, dass Ihr in meinem Sinne lebt und meine Gebote und Empfehlungen haltet.“ (5. Mose 30, 11 – 16).

Ob der Berliner Großvater des Täuflings nah an Gott dran ist oder weit weg – darüber habe ich nachgedacht.

Ist dieser Mann nun heimlich Christ? Diese Frage habe ich mir gestellt. Und natürlich muss ich sagen: Nein, ist er nicht. Ich sage es so: seine Ethik für den Alltag ist christlich geprägt. Genau wie das Kinderbuch, aus dem ich zur Taufe vorgelesen habe. Es ist christlich geprägt. Es handelt von Nächstenliebe, Barmherzigkeit und Warmherzigkeit.

Aber ist es nicht faszinierend, dass dieser Mann genau wie ich bemüht ist, ein anständiges Leben zu führen? Und damit meine ich nicht Markenkleidung, teure Elektronik und Weltreisen. Ich meine eines mit so wenig Streit wie möglich. So wenig Bosheit wie möglich. So wenig Hass wie möglich. Eines von dem er wie ich sagen könnte: Es ist ein liebevolles Leben.

Ich bin davon überzeugt, dass Gott mir diesen Menschen geschickt hat. Gott hat mir damit gezeigt: Schau, auch außerhalb Deiner Kirche bin ich bei den Menschen. Als Christ oder Christin und Gemeindeglied sieht man oft ja nur noch die „eigenen Leute“. Das geht mir als Pfarrer der Kirche auch so. Manchmal vergesse ich, dass Gott auch bei denen ist, die nicht zu mir in die Kirche kommen. Oder die vielleicht sogar von sich sagen: Ich halte nichts von Gott. Aber ist es nicht so: Gott hält trotzdem etwas von diesen Menschen.

Für mich war das wieder einmal ein Hinweis darauf, dass wir uns weniger um unsere Unterschiede kümmern sollten. Kirchenmitglieder und Kirchenferne gehen in eine gemeinsame Zukunft. Von der können sie träumen: von einem guten Miteinander. Von der Klimarettung. Vom Frieden. Wir sind alle irgendwie anders. Aber besser ist es, zusammenzustehen als die Unterschiede zu stark zu  betonen.

Denn es gibt einen gemeinsamen Grund: Den Traum von einer besseren Zukunft. Der Großvater hat später zu mir gesagt: „Dit mitm Beten hätt ick nich jebraucht.“ Aber, hat er hinzugefügt, die Botschaft, dass Jesus keine Unterschiede haben will – die findet er gut.

Ich finde: Wer so lebt, träumt, absichtlich oder nicht, wie Gott von einer guten Zukunft. Und Gottes Traum ist nicht unverständlich: rückt zusammen.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen verträumten Sonntag.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31821
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