Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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30SEP2020
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Männer weinen nicht, sagen manche. Jedenfalls nicht, wenn sie stark sein wollen. Dann muss man anders mit seiner Trauer umgehen. Viele glauben das bis heute.

Als Kind früher konnte ich tatsächlich nicht weinen. Ich kann mich noch gut erinnern: Als ein guter Freund bei einem Autounfall gestorben ist, da haben meine Geschwister ihren Tränen freien Lauf gelassen. Genauso viele Jahre später, als mein Onkel sich das Leben genommen hat. Ich dagegen bin da immer völlig verstummt, bin einfach nur starr dagesessen. Vielleicht war mir das Weinen peinlich vor den anderen. Oder es war mir unheimlich, die Kontrolle über mich selbst zu verlieren.

Wie auch immer – stark gefühlt habe ich mich nicht dabei. Ganz im Gegenteil. Nicht weinen zu können, das hat es mir noch schwerer gemacht. Weil ich die Trauer in mir drin behalten habe. Weil ich sie in dem Moment auch nicht anders verarbeiten konnte. Und weil ich keine gemeinsame Ebene mit den anderen gefunden habe und deshalb einsam geblieben bin.

Heute glaube ich: Weinen macht stark. Weil das die Anspannung abbaut, ganz greifbar, nämlich über den Körper. Weil Schmerz und Trauer dann einen Weg nach draußen finden, wie in einem „Spülgang für die Seele“. Und weil man über das Weinen auch ohne Worte miteinander verbunden ist.

Wenn ich mit Angehörigen eine Beerdigung vorbereite, erlebe ich das oft. Da sitzen wir zusammen, reden über den Abschied von einem Menschen – und auch über das, was miteinander gewesen ist. Manchmal wird das sehr persönlich – und auch schmerzhaft. Wenn die Angehörigen dann weinen können, hat das was Befreiendes. Und häufig können wir dann im nächsten Moment auch lachen. Weil plötzlich auch wieder Platz ist für die schönen und lustigen Erinnerungen.

Weinen kann auch den Weg bahnen für entschlossenes Handeln. Wenn man auf der Arbeit immer wieder vom Chef blockiert wird zum Beispiel, auch das ist zum Weinen. Den persönlichen Frust dann mal auf diese Weise für sich rauszulassen, gibt einem vielleicht auch den Mut, das offene Gespräch zu suchen und zu sagen, was einen stört.

In einem Gebet aus der Bibel sagt jemand zu Gott: „Sammle meine Tränen in deinen Krug; ich bin sicher, du zählst sie alle!“ Ich glaube fest, dass Gott keine Träne übersieht. Und dass Tränen kostbar sind. Gott steht denen bei, die weinen. Also ist das garantiert kein Grund, sich zu schämen. Im Gegenteil. … und liebe Männer – ich glaube, das gilt auch für uns.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31743
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