Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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04SEP2020
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„Mein Fahrstil eignet sich leider nicht für fromme Aufkleber.“, las ich einmal auf einem Auto. Es scheint den netten, selbstironischen Sticker nicht mehr zu geben. Aber die dahinter stehende Frage ist geblieben, und ich finde sie durchaus interessant. Luther soll gesagt haben: Wenn der Bauer sich bekehrt, merkt das die Kuh im Stall. Übertragen würde das bedeuten: Wenn ein Mensch, der Gott ernst nimmt, hinter dem Steuer sitzt, merken das die anderen Autofahrer. Es ist wohl unbestritten, dass das Klima auf den Straßen rücksichtsloser, um nicht zu sagen brutaler geworden ist. Natürlich ist es nicht grundsätzlich falsch, mit hoher Geschwindigkeit zu fahren, wenn es die Situation zulässt. Oft wird aber übersehen, dass Straßenverkehr immer eine Interaktion mit vielen unterschiedlichen Beteiligten ist. Dazu gehört auch die Frage: Wieviel Druck entsteht bei anderen durch zu dichtes Auffahren oder riskantes Überholen. Vielleicht habe ich selbst ja tatsächlich alles voll im Griff und mein Wagen verfügt über einen guten Bremsassistenten und andere Sicherheitssysteme. Dennoch entsteht durch Raser ein Klima der Verunsicherung und des Stresses. Ältere Fahrer, Gelegenheitsfahrer, Anfänger oder auch Menschen mit Beeinträchtigungen werden gnadenlos beiseite geblinkt, gehupt und gedrängt. Vielleicht denkt mancher ja auch: „Sollen sie doch zu Hause bleiben und die Straßen denen überlassen, die etwas vom Autofahren verstehen.“ Dadurch wird die Autobahn zu einem Sonderlebensraum, in dem das Recht des Stärkeren akzeptiert, ja manchmal zelebriert wird.

Ich weiß, es gibt auch die andere Seite: die Diktatur der Schwachen in Form von Pedanterie, Rechthaberei und Sicherheitsfanatismus, durch die der Straßenverkehr in Deutschland zum Erliegen käme. Aber zwischen den Schleichern und denjenigen, die nur ihre technischen Möglichkeiten und ihre momentanen Interessen sehen, gibt es ein breites Feld, das sich gestalten lässt. Als verantwortlich handelnder Mensch will ich nicht nur meinen Spaß beim Fahren haben und möglichst schnell mein Ziel erreichen. Ich will auch dafür sorgen oder zumindest durch mein Verhalten nicht verhindern, dass andere heil und glücklich den Tag überstehen.

Heute beginnt das Wochenende mit viel Reiseverkehr auf den Autobahnen. Da wird mancher vermutlich bis an seine Grenzen herausgefordert sein. Aber es ist auch eine Chance, einmal die folgende Grundregel des Apostels Paulus auszuprobieren. Sie lautet: Jeder soll nicht nur sein eigenes Interesse verfolgen, sondern auch auf das sehen, was dem anderen dient (Phil 2,4). Gute Reise also – und ein schönes Wochenende!

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