Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

02SEP2020
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„Setz dich auf deinen Platz und nimm die Füße vom Sitz! Hier wollen nach dir noch andere Leute sitzen, und die möchten nicht deinen Schmutz an ihrer Hose haben.“ Die Worte des jungen Vaters waren eindringlich und für den kleinen Knirps unmissverständlich. Er grinste seinen Papa breit an und begann, immer heftiger auf dem Sitz mit beiden Füßen herumzuspringen. Der Ton des Vaters wurde lauter und drohender, so dass das gesamte Zugabteil sich für die Lösung dieser pädagogischen Herausforderung zu interessieren begann. Bis auf eine Person: Der kleine Wonneproppen fand immer mehr Spaß daran, seinen überforderten Vater herauszufordern und bloßzustellen. Gehorsam schien für ihn etwas völlig Fremdes zu sein.

Ich habe manchmal den Eindruck, dass viele Erwachsene über dieses Stadium niemals hinausgekommen sind. Sobald sie sich im Geringsten zu irgendetwas genötigt und gedrängt fühlen, wird vom inneren Alarmsystem eine Vollbremsung ausgelöst, und sie bewegen sich keinen Schritt weiter. Das gilt auch Gott gegenüber. Ein Gott der einen verwöhnt und die Probleme aus dem Weg räumt? Ja, gerne doch! Aber ein Gott, der eine Meinung hat und mir reinredet? Nein Danke. – Ich habe gemerkt, dass es gar nicht so schlecht ist, sich auf Gott und seine Wesensart einzulassen. Ich will versuchen das zu beschreiben.

Nehmen wir einmal an, ich sei von Natur aus ein jähzorniger Mensch, der bei einer Provokation schnell ausrastet. Wieder einmal erlebe ich, wie mein Puls steigt, die Atmung schneller wird und ich kurz vor der Explosion stehe. Doch auf einmal spüre ich einen Impuls von Gott, der mich auffordert und befähigt, anders zu reagieren. Ich schicke ein Stoßgebet zum Himmel, atme tief durch, halte meinen Mund und höre stattdessen zu. Die Situation eskaliert nicht weiter, sondern ich kann anders als sonst mit ihr umgehen. Das ist also offenbar möglich. Beim nächsten Mal erlebe ich Ähnliches, aber beim dritten Mal raste ich wieder voll aus. Und doch ist etwas anders geworden. Mein Wutausbruch ist nicht mehr selbstverständlich. Er ist etwas, das nicht mehr zu mir passt. In vielen Einzelsituationen werden so neue Gewohnheiten und Verhaltensformen erlernt. Mein Charakter und meine Persönlichkeit verändern sich. Ja meine Biografie verläuft anders, als wenn ich ohne Gottes Impulse weiter gelebt hätte. Aber dazu muss ich natürlich bereit sein, und jetzt gebrauche ich bewusst dieses schreckliche Wort – Gott zu gehorchen. Ich habe gemerkt: Gott meldet sich tatsächlich zu Wort. Nicht um mich zu beschneiden, sondern weil ich ihm wichtig bin.

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