Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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31AUG2020
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Ich habe nicht schlecht gestaunt, als ich bei einer Wanderung im Schwarzwald Spuren von Marc Twain an einer Klosterruine gefunden habe. 1878 hatte er die Gegend erwandert und darüber in seinem Reisebericht „A Tramp Abroad“ berichtet.

Er schreibt: „Wir schauten in eine tiefe, schöne Schlucht hinunter mit einem weiten Panorama bewaldeter Berge dahinter, deren Gipfel in der Sonne leuchteten… Die Schlucht zu unseren Füßen – genannt Allerheiligen – bot am Ende ihres grasbewachsenen Bodens gerade genug Platz für ein abgeschieden von der Welt mit ihren Belästigungen gelegenes, gemütliches, entzückendes Menschennest, und folglich hatten die Mönche der alten Zeit nicht verpasst, es zu entdecken.“ –

Ich konnte Marc Twains Begeisterung für die Landschaft gut nachvollziehen, doch beim „gemütlichen Menschennest“ wurde ich nachdenklich. Es steht mir sicher nicht zu, die Mönche von damals zu beurteilen. Schließlich ist jeder Kind seiner Zeit. Und doch habe ich mich gefragt: Ist es das, was Jesus von seinen Nachfolgern erwartet? Stille, Besinnung, Abkehr von der bösen Welt? Schließlich hatte er doch zum Vater gebetet „Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt nimmst, sondern dass du sie bewahrst vor dem Bösen (Joh 17,15).“ Dementsprechend hatte er ihren Auftrag beschrieben: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch (Joh 20,21).“ Das bedeutet doch, wie Jesus die himmlische Ruhe zu verlassen und sich mitten in die Welt mit ihren schönen und widerwärtigen Seiten hineinzubegeben, sich in die Gesellschaft einzubringen und einzumischen. Auch wenn ich längst nicht immer weiß, wie der richtige Weg aussieht. Es geht nämlich nicht nur um mein eigenes Wohl, sondern immer auch um das der anderen. Und es geht um Gottes Präsenz in unserer Welt. Es soll sichtbar werden, welches Gottes Absichten mit dem einzelnen und der Gesellschaft sind.

Bezogen auf die Corona-Krise bedeutet das: Es reicht nicht, dass ich in meinem gemütlichen Menschennest gesund bleibe und möglichst ohne Einschränkungen durch die Pandemie komme. Ich sehe immer auch die anderen, die Wirtschaft, die Kultur, das Ganze. – Mir scheint, jetzt ist die Zeit, wo sich zeigen muss, nach welchen Werten wir leben. Menschen, die sich an Gott orientieren, werden sich anders verhalten, als es vielleicht ihrer Natur entspräche. Ich finde das ganz schön herausfordernd. Und doch denke ich, ist es die richtige Perspektive. Weil es mir nicht egal sein kann, wie es anderen geht.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31578
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