SWR2 Lied zum Sonntag

SWR2 Lied zum Sonntag

23AUG2020
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Gesungen wurde viel im Zeitalter der Reformation. Im Alltag, bei der Arbeit und natürlich in der Kirche. Und wenn die vorhandenen Melodien nicht ausreichten, griff man zu Melodien populärer Volkslieder.
So konnte aus dem traurig-bitteren Chanson eines enttäuschten Liebhabers ein Kirchenlied werden: „Auf meinen lieben Gott trau ich in Angst und Not“. Und das ist ganz anders gestimmt. In der um 1570 entstandenen musikalischen Vorlage singt der Sänger noch ganz bitter: „Venus, du und dein Kind seid alle beide blind/ und pflegt auch zu verblenden, wer sich zu euch thut wenden/ wie ichs wol hab erfahren/ in meinen jungen Jahren.“

CD 1, „Venus du und dein Kind“
Venus, du und dein Kind
seid alle beide blind
und pflegt auch zu verblenden
wer sich zu euch thut wenden
wie ichs wol hab erfahren
in meinen jungen Jahren.

Man hört einen von Lebens- und Liebeserfahrungen gebeutelten älteren Mann, der seine tiefe Enttäuschung heraussingt. Und am Ende den bitteren Schluss zieht: „Drum rat ich jedermann/von Lieb bald abzustan.“

CD 1, „Venus du und dein Kind“,
Drum rat ich jedermann,
Von lieb bald abzustan,
Dann nichts ist zu erjagen
In lieb denn weh und klagen,
Das hab ich alls erfahren
In meinen jungen Jahren.

In dem Choral „Auf meinen lieben Gott“ hat sich die Grundstimmung in Zuversicht verwandelt. Es geht um das, was mich in Trübsal, Ängsten und Nöten trösten und tragen kann. Das war in der Entstehungszeit des Chorals, die bestimmt war von Kriegen und Seuchen, genauso aktuell wie heute:

CD 2, Bach Orgelchoralvorspiel „Auf meinen lieben Gott“
Auf meinen lieben Gott trau ich in Angst und Not;
der kann mich allzeit retten aus Trübsal, Angst und Nöten,
mein Unglück kann er wenden, steht alls in seinen Händen.

Aus einem Liebeslied ist so ein Kirchenlied geworden. Es findet sich heute im evangelischen Gesangbuch.

Aber, frage ich mich, gibt es gar keine Beziehung zwischen dem alten Chanson und dem späteren Kirchenlied? Ich glaube doch! Es ist die Erkenntnis: dass Enttäuschungen in der Liebe letztendlich keine Argumente sind gegen die Liebe. Dann nämlich nicht, wenn sich der Blick dafür weitet, dass meine unvollkommene und zerbrechliche Liebe das Präludium ist für die größere Liebe Gottes. Eine Liebe, die nicht zerbricht.  

So meine ich, bei aller Verwandlung, die das Lied von Venus und Amor erfahren hat, ist es doch ein Liebeslied geblieben. Nur ein viel innigeres. Eines das auch das umfasst, was menschliche Liebe bedrohen kann. Ängste und Nöte. Sterben und Tod.

Für mich ist dieses Kirchenlied zum Ausdruck eines tieferen Vertrauens geworden. Zum tragenden Grund meines Lebens.

CD 3 „Auf meinen lieben Gott“, Gächinger Kantorei
Auf meinen lieben Gott trau ich in Angst und Not;
der kann mich allzeit retten aus Trübsal, Angst und Nöten,
mein Unglück kann er wenden, steht alls in seinen Händen.

 

CD 1:  „Venus du und dein Kind“. Aus: Luther tanzt.
CD 2: „Auf meinen lieben Gott“, Orgelchoralvorspiel. Aus: J.S. Bach, Die kompletten Werke
CD 3:  „Auf meinen lieben Gott“ , Schlusschoral aus der Kantate „Ich habe meine Zuversicht“, BWV 188, Gächinger Kantorei

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31517
weiterlesen...