Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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14AUG2020
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„Viele Steine, müde Beine, Aussicht keine, Heinrich Heine“ – ein hübscher Vers, den man wohl nur um des Reimes willen Heinrich Heine in die Wanderschuhe schob. Das klingt nicht nach überschäumender Begeisterung. 

Ich kann den müden Heinrich in diesem Vers gut verstehen: Wie oft habe ich selbst als Bergsteiger die Gipfel verwünscht und mit mir gehadert: Warum tue ich mir dies eigentlich an? Viele Steine, müde Beine, Aussicht keine, wenn nach all der Plage auch noch Nebel den Gipfel umwabert. Anders freilich, wenn einem plötzlich die Welt zu Füßen liegt und man am liebsten mit Adlers-Schwingen abheben möchte. Unvergessen auch so mancher nächtliche Anstieg, wenn in aller Herrgottsfrühe die Sonne hinter den nachtschwarzen Kämmen emporsteigt und die Welt mit goldenem Licht überflutet. 

Viele Menschen – und nicht nur religiös geprägte – fühlen sich in den Bergen dem Himmel näher. „Ich erhebe meine Augen zu den Bergen“,betet ein Psalmist im Alten Testament,weil er dort seinen Gott vermutet (Psalm 121,1). 

In den Bergen weiten sich enge Horizonte. Schritt für Schritt eröffnet sich eine neue Welt - jenseits schroffer, abweisender Zacken und Grate. Vordergründiges wird relativ. Es ist, als wäre man plötzlich auf Gott geschaltet.  

Auf den Wanderwegen im Gebirge säumen Markierungen den Weg. Auf dem Glaubenspfad sind es biblische Wegmarken. Sie geben Halt und Orientierung. Da wie dort kommt es auf verlässliche Gefährtinnen und Gefährten an, die einander ans Seil nehmen und Sicherheit geben. Einer meiner Freunde, der hinter mir in eine tückische Gletscherspalte eingebrochen war, verdankt dieser Sicherung sein Leben.  

Nicht immer winkt einem in den Bergen oder im Glauben Gipfelglück, wo man sich Gott wirklich näher fühlt. Und selbst wenn – es ist ja nicht von Dauer, denn nun geht’s genau so mühsam und gefährlich wieder bergab in die Niederungen des Alltags. Doch viele Bergfreunde bestätigen mir: Man kehrt anders zurück, offener, gläubiger vielleicht. 

Wer heute früh Bergstiefel oder auch nur die Wanderschuhe schnürt, dem wünsche ich diese Erfahrung, Gott näher zu kommen und auf jeden Fall „anders“ zurückzukehren, dankbarer, staunend und weitsichtig.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31475
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