Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

08AUG2020
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

„Unterleuten“ heißt ein Roman der Schriftstellerin Juli Zeh. Vor einiger Zeit wurde er auch verfilmt. Unterleuten heißt das kleine Dorf in Brandenburg, in dem der Roman spielt. Aber der Name ist doppeldeutig. Man erfährt beim Lesen, wie es unter Leuten also unter Menschen zugeht.

Im Roman geht es um einen Windpark, der auf der Gemarkung von Unterleuten entstehen soll. Das birgt Konfliktpotential. Dazu kommt ein alter, jahrzehntelanger Streit, der das Dorf spaltet. – Am Ende wird ein Mensch krankenhausreif geprügelt, zwei Leute sterben.

Juli Zeh erzählt die Geschichte nicht nur aus einer Perspektive. Beim Lesen erfahre ich von jeder Hauptperson, was sie fühlt und denkt und warum sie so handelt, wie sie es tut. Verstehen kann ich irgendwie jeden. Am Ende des Romans heißt es: „Jeder erzählte seine Geschichte, und jeder glaubte sich im Recht, und jeder hatte seine Gründe“.

Ich finde der Roman zeigt: Konflikte entstehen, weil Menschen die Dinge aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten und zuerst ihre eigenen Interessen im Blick haben. Jeder hat seine eigene Perspektive auf die Dinge und sieht sich selber im Recht und den anderen im Unrecht. Die Frage ist: Wie kommt man da wieder raus?

Mir kommt ein anderer Roman in den Sinn. Der spielt auch in einem kleinen Dorf. Boscaccio in Norditalien. Auch da gibt es Konflikte. Der Roman heißt Don Camillo und Peppone. Viele kennen noch die Verfilmung aus den 50er Jahren. Der katholische Priester und der kommunistische Bürgermeister liegen im Streit miteinander. Beide wollen das Beste für ihr Dorf. Aber beide etwas anderes. Es wird mit harten Bandagen gekämpft. Manchmal fliegen die Fäuste.

Der Priester Don Camillo ist nachtragend, jähzornig und fühlt sich immer im Recht. Aber es gibt da eine Jesusfigur in seiner Kirche. Die spricht manchmal mit Don Camillo. Jesus fordert den Priester immer wieder auf, sich in seinen Feind Peppone hineinzuversetzen. Er erinnert Don Camillo daran, dass auch er Fehler macht. Am Ende finden die beiden nach jedem Streit wieder zusammen.

Eine sprechende Jesusfigur wie Don Camillo hat leider niemand zu hause. Aber es gibt da einen Satz von Jesus. Den kann man sich immer wieder in Erinnerung rufen: „Zieh zuerst den Balken aus deinem eigenen Auge; dann […] kannst den Splitter aus dem Auge deines Bruders ziehen“ (Matthäus 7,5).

Nicht nur darauf sehen, was der andere falsch macht, sondern auch – und zuerst – schauen, wo man selbst im Unrecht ist. Ich denke, wenn man das beherzigt, dann geht es friedlicher zu unter Leuten.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31402
weiterlesen...