Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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07AUG2020
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„Ich bin stolz auf meine Schwäche“. Auf diesen Satz bin ich neulich gestoßen, als ich in der Bibel gelesen habe. Geschrieben hat ihn der Apostel Paulus in einem Brief.

 „Ich bin stolz auf meine Schwäche“ – Mir und vielen Menschen geht es gerade umgekehrt. Auf seine Schwächen ist man nicht stolz. Eher schämt man sich dafür. Mindestens aber könnte man gut darauf verzichten. Viele leiden an ihren Schwächen und arbeiten daran, sie loszuwerden. Viele Ratgeber-Bücher bieten dabei Hilfe an: Gegen Schüchternheit, Perfektionismus, Aufschieberitis, Arbeitssucht, Ängstlichkeit, Übergewicht oder Untergewicht.

Auch Paulus hat zuerst unter seiner Schwäche gelitten. Was genau sein Problem war, verrät er nicht. Manche Theologen vermuten eine körperliche Beeinträchtigung, andere eine psychische Belastung. Jedenfalls hatte Paulus mit irgendetwas zu kämpfen. Es gab etwas an ihm, das ihn gestört hat. Er wäre gerne anders gewesen.

Deshalb hat Paulus gebetet: Immer wieder hat er Jesus angefleht, ihm seine Schwäche abzunehmen. Aber dann – ich stelle mir vor: während er betet – bekommt Paulus eine Antwort. Jesus sagt zu ihm: „Du brauchst nicht mehr als meine Gnade. Denn meine Kraft kommt gerade in der Schwäche voll zur Geltung“. Diese Worte verändern etwas bei Paulus. Plötzlich will er seine Schwäche nicht mehr loswerden. Er kann sie annehmen – und sogar sagen: „Jetzt trage ich meine Schwäche gern, ja, ich bin stolz darauf“ (2. Korinther 12,9).

Ich verstehe das so: Schwächen können eine große Belastung sein. Und manchmal gelingt es nicht, sie loszuwerden. Aber auch diese hartnäckigen Schwächen haben eine gute Seite: Sie erinnern mich daran, dass ich nicht perfekt bin. Sie erinnern mich daran, dass ich ein Mensch bin.

Als Mensch kann ich viel tun und leisten. Aber ich bleibe als Mensch immer unvollkommen. Ich bleibe auf Gottes Gnade, Fürsorge und auch auf seine Vergebung angewiesen. Ich finde, das entlastet. Es nimmt mir den Druck, etwas zu ändern, was ich nicht ändern kann. Und ich merke: Wenn ich so über meine Schwäche denke. Wenn ich sie annehme und sie da sein lasse, fühle ich mich nicht schwächer sondern stärker.

 „Meine Kraft kommt gerade in der Schwäche voll zur Geltung“, hat Jesus zu Paulus gesagt. Ich glaube, das ist so, weil geliebt werden stark macht. Die Erfahrung, Jesus Christus liebt mich mit meinen Schwächen, das macht stark.

Stolz auf meine Schwächen kann ich dann vielleicht immer noch nicht sein. Aber ich kann besser mit ihnen leben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31401
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