Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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06AUG2020
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„In meine Netzhaut ist die Hölle jenes Tages eingebrannt. Am 6. August 1945, zur Stunde, als die Sonne aufging […] wurde plötzlich die Stadt weggefegt“. So beschreibt die japanische Schriftstellerin Sadako Kurihara den Abwurf der Atombombe auf Hiroshima, heute vor 75 Jahren. – 70.000 Menschen, schätzen Historiker, waren auf der Stelle tot. Zehntausende mehr sind Tage, Monate und auch noch Jahre später an den Folgen gestorben.

Krieg ist unmenschlich. In der Spirale von Gewalt und Gegengewalt bleiben Vernunft und Menschlichkeit auf der Strecke. Ich finde, der Abwurf der Atombombe auf Hiroshima zeigt in besonders schrecklicher Weise, wo das enden kann. Wer in der Abfolge von Schlag und Gegenschlag steckt, der kann sich nicht mehr frei entscheiden. Der ist in Gefahr, das Schlimmste zu wählen, wenn er die Möglichkeit dazu hat.

Natürlich hätte es zum Bombenabwurf auf Hiroshima Alternativen gegeben: Friedensverhandlungen aufnehmen, die Bevölkerung warnen oder die Bombe über einem unbewohnten Gebiet zünden – das alles wurde überlegt. Entschieden haben sich US-Präsident Truman und seine Berater aber für den Abwurf auf Hiroshima – ohne Vorwarnung.

Anscheinend schützt auch der Glaube an Gott nicht vor Unmenschlichkeit. Pater George Zabelka war amerikanischer Militärseelsorger im Zweiten Weltkrieg. Er hat die Besatzung des Flugzeugs betreut, das die Bombe abgeworfen hat. Im Rückblick stellt der Pfarrer erschrocken fest: „Ich war fest überzeugt, dass diese Art von Massenvernichtung richtig war; so fest, dass sich mir die Frage gar nicht stellte, ob das überhaupt moralisch vertretbar war“.

Krieg macht blind für Gott und für die Mitmenschen. Vielleicht hat Jesus deshalb gesagt: „Wenn dich jemand auf die rechte Backe schlägt, dann halte ihm auch die linke hin.“ (Matthäus 5,39). Schlag nicht zurück. – Ich verstehe das als Warnung, gar nicht erst einzusteigen in die Gewaltspirale. Denn: Wer zum Gegenschlag ausholt, setzt seine Menschlichkeit aufs Spiel. Der riskiert, dass er in seinem Gegenüber nicht mehr den Mensch sieht, sondern nur noch den Feind.

Ich glaube, Hiroshima mahnt dazu, nie zu vergessen: Der, der mir gegenübersteht, ist immer ein Mensch. Wie ich. Auch wenn ich mit ihm im Streit bin.

Sadako Kurihara, die den Atombombenabwurf überlebt hat, schreibt: „Ich will von Hiroshima zeugen. Ich als Überlebende wünsche vor allem, Mensch zu sein. Besonders als Mutter schreie ich auf gegen jeden Krieg […] Ich rufe aus vollem Herzen: Nie wieder Krieg!“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31400
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