Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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03AUG2020
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Unsere orangene Thermoskanne erinnert mich an Sommer und Sonne. Wegen ihrer Farbe und weil wir sie tatsächlich einmal im Sommerurlaub gekauft haben.

Seit meine Tochter aus dem Haus ist, steht die Thermoskanne auch dafür, dass wir nur noch zu dritt in der Familie sind. In die orangene Thermoskanne passt nämlich nur Tee für drei. Wenn meine Tochter alle paar Wochen nach Hause kommt, muss die andere, die größere schwarze Kanne her. Wenn sie dann wieder weg ist, kommt die orangene auf den Tisch.

Es verändert sich was, wenn die Kinder das Haus verlassen. Mehr als ich gedacht hätte. Ich habe mir vorgestellt: Wenn die Kinder eine Ausbildung machen, ein freiwilliges soziales Jahr oder zum Studieren gehen, dann sieht man sie halt nicht mehr so oft. Jetzt weiß ich, dass da mehr passiert: Als Vater oder Mutter macht man sich Gedanken, wie es dem Kind wohl geht, in der Fremde. Und auch zuhause verändert sich was: Die Familie schrumpft immerhin um – in unserem Fall – 25 Prozent. Psychologen sagen, dass sich dadurch das Familiensystem ändert. Oder einfacher gesagt: Es fehlt jemand wichtiges, und es ist einfach nicht mehr dasselbe.

Mich tröstet da eine Geschichte aus der Bibel: Die Geschichte von Josef. Auch Josef geht als junger Mann aus dem Haus in die Fremde. Er geht allerdings nicht freiwillig. Aber der entscheidende Punkt für mich ist: Es tut Josef gut, dass er seine Familie verlässt. Josef entkommt der Überbehütung durch seinen Vater. Und er lässt auch die Rolle des verzogenen, hochnäsigen Besserwissers hinter sich, den seine Geschwister in ihm sehen. Weg von Zuhause sammelt Josef neue Erfahrungen, lernt eine Menge dazu und entdeckt seine Stärken und Fähigkeiten. Er kann das werden, was in ihm steckt.

Auch wenn er von seiner Familie getrennt ist: Josef ist trotzdem nicht allein. Gott begleitet ihn und sorgt für ihn. Gerade in den schwierigen Zeiten, die es auch gibt. Als Josef seine Familie am Ende wiedersieht, da staunt Josefs Vater, was aus seinem Sohn geworden ist.

Ich denke, diese Erfahrung machen viele Väter und Mütter: Wenn die Kinder aus dem Haus sind und dann ab und zu nach Hause kommen, dann haben sie sich verändert. Sie kommen einem irgendwie erwachsener, größer und selbständiger vor. Jedenfalls geht mir das so.

Wenn meine Tochter dann wieder gegangen ist und ich morgens das Frühstück mache, ziehe ich die orangene Thermoskanne mit ein bisschen Wehmut aus dem Schrank. Und gleichzeitig weiß ich: das ist richtig und gut so.

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