Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

16JUL2020
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

„Des war der Hansi“ – halb irritiert, halb amüsiert hab ich diesen Satz aufgenommen, wenn mein Studienkollege frisches Schweinefleisch aus der Landwirtschaft seiner Familie in unsere WG mitgebracht hat. Diese persönliche Note hat mich den Schweinebraten dann irgendwie anders machen und essen lassen. Bewusster und respektvoller, weil dieses Stück Fleisch mal ein lebendiges Tier war, ein Mitgeschöpf, sogar mit Namen.

Dieser Hansi kam mir bei der jüngsten Debatte um die Fleischproduktion hierzulande in den Sinn. Fleisch, genauer gesagt, Rinder, Schweine und Hühner sind zur Industrieware geworden. Massenhaft gezüchtet, massenhaft eingepfercht bis sie massenhaft geschlachtet, zerlegt, transportiert und verkauft werden. Ein monströser Irrsinn.

Dazu werden arme Menschen aus Polen, Bulgarien und Rumänien nach Deutschland gekarrt, um hier als moderne Mietsklaven in den Tier-Tötungs-Fabriken die Hölle auf Erden zu erleben. Wenn sie am Fließband per Bolzenschuss zum Beispiel bis zu 500 Rinder am Tag töten. In 10-Stunden-Schichten für einen Hungerlohn, von dem ihnen auch noch die Miete abgezogen wird. Für mickrige, abgewohnte zu Teil von Schimmel befallene Zimmer, in die sie zu Mehreren eingepfercht sind, wenn sie sich vom Töten und Zerlegen erholen.
Allein 55 Millionen Schweine werden in Deutschland pro Jahr getötet. In großen Schlachtfabriken bis zu 30.000 am Tag. Musste tatsächlich erst die Corona-Krise klarmachen, wie grundfalsch das ist? Für Mensch und Tier. Für Leib und Seele, von Mensch und Tier.
Es ist gut und höchste Zeit, dass jetzt Gesetze auf den Weg gebracht werden, die da Abhilfe schaffen sollen. Die Industrialisierung der Fleischproduktion hat aber noch eine andere, genauso wichtige Seite: Mich! Als Konsumenten. Ich bin der letzte in der Kette von der Züchtung der Tiere bis zum Griff in das Supermarktregal. In meiner Kindheit gab es nur am Sonntag Fleisch. Ein Hühnchen, Schnitzel oder den Sonntagsbraten. Das war was Besonderes. Heute könnte ich das jeden Tag haben. Will ich aber nicht. Ich will lieber weniger Fleisch essen. Und wenn, dann darauf achten, dass ich kein Fleisch kaufe, das zwar billig ist, für das aber Mensch und Tier unter fürchterlichen Bedingungen leben, arbeiten und sterben müssen.

 

 

*Quelle: Der Spiegel, Nr. 27, 27.6.2020, „Das Schweinesystem“, Seiten 10-18.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31296
weiterlesen...