Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

15JUL2020
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Eine schlanke Afroamerikanerin mit weißem Top kniet vor einer Reihe schwarz gewandeter Polizisten mit Helmen und Schlagstöcken. Ein Knie auf dem Boden, das andere abgewinkelt für eine stabile Position. Ihr Oberkörper ist aufrecht, gerade, wie mit einem Lineal gezogen. Sie schaut nach oben zu den schwer bewaffneten Polizisten, in ihre Augen oder darüber hinaus.
Ein Foto, das mich innerhalten ließ, in der Flut der vielen Bilder, die mich umgeben. Weil die junge Frau so mutig und anmutig ist, so unverletzlich in ihrer sich ausliefernden Geste, so schön und so stark in ihrer demonstrativen Friedlichkeit.
In letzter Zeit hat man sie öfters gesehen: öffentlich kniende Menschen. In den USA vor allem, aber auch in deutschen Fußballstadien. Wenn Fußballer mit dunkler Hautfarbe ein Tor geschossen haben und so niederknien wie die Frau auf dem Foto. Als Protest gegen Rassismus und in Solidarität mit den unterdrückten Menschen anderer Hautfarbe. Ihre Protest-Geste wirkt umso stärker, weil das Knien vor kurzem einen Menschen umgebracht hat. Als Ende Mai in Minneapolis der Polizist Derek Chauvin dem Afroamerikaner George Floyd so lange auf dem Hals gekniet hat, bis er erstickt war. Das ist einfach nur fürchterlich. Unvorstellbar fürchterliche Brutalität. Fürchterlich für mich als religiösen Menschen ist aber auch, dass eben das Knien getötet hat. Knien ist eine der tiefsten religiösen Gesten. Weil, wenn ich knie, ich mich in all meiner menschlichen Bedürftigkeit und Schwäche zeige. Und mich Gott, und nur Gott, in seiner Größe und Güte anvertraue. Aber gerade da aufrecht bleibe. Im Knien, äußerlich und innerlich gerade bleibe, friedlich bin und in Bodennähe Gott die Ehre gebe, ohne mich klein zu machen. Weil ich glaube, dass er den Menschen genau so gewollt hat: aufrecht, friedlich und seiner selbst bewusst. Seiner Schwäche und Stärke. Seiner Größe und Kleinheit. Die doch alle Menschen verbindet. Darum finde ich auch das Knien als Zeichen des friedlichen Protests so schön und so passend. Nicht von ungefähr haben im Hebräischen die Worte Knien und Segnen dieselbe Wortwurzel. Und so kommt in ihnen zusammen, was es für das friedliche Miteinander der Menschen immer und überall braucht: Demut und Wohlwollen…

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31295
weiterlesen...