SWR4 Sonntagsgedanken

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12JUL2020
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Das waren schon erschreckende Nachrichten. Soviel angestaute Wut. Da haben Demonstranten Statuen vom Sockel gerissen. Denkmalfiguren, die aber aus heute sehr fragwürdigen Gründen geehrt wurden: Mächtige Kriegsherren, Eroberer, Sklaventreiber und Rassisten. Hoch geehrt aus der Perspektive der Mächtigen von damals, aber viele auch mit einer Blutspur der Gewalt. „Waren eben die Zeiten“, sagen manche. „Jetzt ist aber auch mal gut mit der Political correctness“. Sagen manche. „Die haben auch viel Gutes bewirkt“, sagen manche. Ich weiß nicht so genau, was ich davon halten soll. Ich erinnere mich, dass in dem Dorf, in dem ich groß geworden bin, mal eine Straße nach einem Arzt benannt war, der aus dem Ort stammte. Der war dort sogar Ehrenbürger und nach seinem Tod hat er auf dem Dorffriedhof ein Ehrengrab bekommen. Ein Studierter. Ein Arzt. Einer, der sogar mal ein Krankenhaus geleitet hat. Das war schon was Besonderes in dem kleinen Ort. Allerdings: Das war in der Nazizeit. Und durch Forschungen kam raus, dass er als Arzt nicht nur vielen Menschen im Ort und im Kreis geholfen hat, sondern auch an Zwangssterilisationen beteiligt war; dass er Menschen für die Rassenideologie der Nazis mit seinen medizinischen Methoden missbrauchthat. Als das viele Jahre nach seinem Tod rauskam, war die Aufregung im Ort groß. Manche wollten da am liebsten gar nicht mehr drüber sprechen. Der Ehrenbürger ein Nazi? Was tun mit der Straße, die nach ihm benannt ist? Sogar die Kirchengemeinde, der Pfarrgemeinderat und andere haben sich dann im Für und Wider zu Wort gemeldet. Am Ende wurde die Straße umbenannt. Das Ehrengrab ist inzwischen aufgehoben. Das fand ich gut damals. Natürlich ist ein Mensch nicht nur das, was er an Fehlern, Sünden und auch Verbrechen begangen hat. Selbst einer, der jemanden umgebracht hat, ist nicht nur ein Mörder, sondern hat vermutlich auch noch andere Facetten seines Lebens. Vielleicht ist er sogar ein netter Nachbar gewesen, einer der anderen auch geholfen hat, Freunde hatte. Ein Teufel in Reinform ist wohl keiner – außer natürlich für seine Opfer. Aber ein Denkmal setzen, ihn als Ehrenbürger auszeichnen und daran festhalten, das geht nicht. Deshalb finde ich es gut, dass das Straßenschild mit dieser neuen Erkenntnis abmontiert wurde. Aber Denkmäler gewaltsam vom Sockel reißen aus blinder Wut, gewaltsame Geschichte mit neuer Gewalt auslöschen wollen, ist keine Lösung.Es ist eher die Frage, an wen ein Denkmal dann erinnert: an die Täter – oder besser an die Opfer! Ich finde wichtig, dass diejenigen, die da auf den Sockel gehoben werden, das auch verdienen. Dass sie ein Denk-Mal im eigentlich Wortsinn sind; dass ich ins Nachdenken komme.  Nur so kann ich mich dem stellen, was war. Und lernen, Gutes von Bösem zu unterscheiden. Völlig unkritisch-devote Verehrung hat mit Nachdenken und dem wörtlichen „denk mal!“ so wenig zu tun, wie blinde Gewalt und Bilderstürme.

 

Musik

 

Da haben wir ja in der katholischen Kirche auch eine Menge solcher Beispiele. “Selige” und “Heilige” nennen wir die. Menschen, die in ihrer Zeit etwas bewirkt haben, was für andere so beeindruckend war, dass die Kirche sie zu Vorbildern erklärt hat. Da geht die Verehrung sogar so weit, diese Menschen als Fürsprecher bei Gott zu sehen. Nicht selbst als Götter, aber in seiner Nähe „im Himmel“. Wenn ich mir die lange Liste der Selig- und Heiliggesprochenen so ansehe, dann finde ich da auch welche, die aus heutiger Sicht und Kenntnis eigentlich nicht in diese Kategorie gehören. Da gab es auch Eroberer, ideologisch Verblendete, Eiferer und militante Missionare, die sich selbst im Dienst einer guten Sache sahen – und dabei doch auch Opfer hinter sich ließen. Da ging und geht es um Macht, um Ansehen und Interessen; solche, die den Glauben mit Feuer und Schwert ausgebreitet haben. Nicht alle, die selig- und heiliggesprochen sind, können heute wirklich noch Vorbilder sein. Zumindest, wenn ich das Wort wörtlich nehme: Dass ich durch ihr Leben ein Bild und eine Vorstellung von einem guten Leben für meinen eigenen Weg in die Zukunft bekomme. Da geht es dann nicht so sehr um deren Leistungen und Verdienste aus vergangenen Tagen. Nicht mehr um Titel und Grabinschriften mit lobenden Worten. Dann geht es darum, ob sie mir und anderen heute für mein Leben etwas Gutes zeigen, ein Vorbild sind für das, wie ich heute leben kann – mit einer Facette ihres Lebens: die mir die Achtung vor meinen Mitmenschen und der Umwelt zeigen, wie das etwa beim heiligen Franz von Assisi deutlich wird; der Einsatz für Bedürftige, wie das bei Sankt Martin ist; die visionäre Kraft, wie sie Hildegard von Bingen hatte. Alle drei Heilige. Alle drei aber vermutlich auch Menschen, die Fehler hatten, die nicht nur engelsgleich gelebt haben. Darüber nachzudenken, das macht sie ganz wörtlich zu einem „Denk-mal!“. Und da gibt es noch viele mehr, die nicht in Stein gemeißelt und auf den Sockel gehoben sind, nicht entschwebt, sondern mit beiden Beinen auf dem Boden. Und gerade so Vorbild und Hilfe zum Nachdenken sind: Echte Denk-Mäler eben! Sei es der Hausmann von nebenan, der gerade hunderte Masken in der Corona-Zeit für Altenheime näht; oder die pensionierte Lehrerin, die seit Jahren kostenlose Hausaufgabenhilfe anbietet. Die Busfahrerin, die an der Haltestelle auf den Rollifahrer wartet, auch wenn sie schon verspätet ist, oder der Metzger, der dem Kind aus der armen Familie immer mal wieder ein Stück Wurst schenkt. Solche Denk-Mäler ohne Sockel, Heiligenschein und Gedenktafel sind Menschen, die mich zum Nachdenken bringen: worauf kommt es wirklich an: Macht, Einfluss, Eroberung, Titel, Verehrung? Oder ganz anderes? Solche Menschen, die mir auch die andere Seite zeigen, sind mir Ansporn und Mutmacher, in eine gute Zukunft zu gehen. Menschen – so glaube ich – die mich wirklich aufblicken lassen und dann sogar näher zu Gott bringen können.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31250
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