Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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16JUN2020
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„Du musst berühren um zu verstehen“, dieser Satz von Mutter Teresa kam mir in letzter Zeit immer wieder in den Sinn. Berühren um zu verstehen, wo wir uns doch seit Monaten körperlich so auf Abstand halten müssen. Verstehen wir also gerade nichts und niemanden mehr? Und was hat Mutter Teresa verstanden, wenn sie die Ärmsten der Armen und die Unberührbaren berührt hat? Ich denke dasselbe was Jesus von Nazareth und alle, die wie er Menschen geheilt haben: dass es ein Zeichen von Würde ist, und von Zu-Neigung im Wortsinne, wenn Menschen berührt werden. Menschen, die einsam sind, krank oder ausgegrenzt. Weil mit dem Körper auch die Seele berührt wird. Nicht umsonst ist das Wort berühren doppeldeutig: dass man körperlich berühren kann und seelisch. Und dass beides untrennbar miteinander verbunden ist. Schon im Mutterleib, in dem wir eingebettet waren in diese leib-seelische Rundum-Dauer-Berührung. Aus der wir dann raus mussten in diese helle kalte Welt, in der nur die Liebe ein Stück dieser Geborgenheit zurückbringt.

Und jetzt, seit Monaten auf Abstand? Was das wohl macht mit unseren Seelen? Wenn Menschen keinen Partner haben, der sie mal umarmt? Keine Kinder oder Enkel haben, die sie auf den Schoß nehmen dürfen? Oder im Altersheim eine Plexiglasscheibe zwischen sich und dem Besucher? Und das nicht verstehen können oder ertragen möchten?

Das schnürt mir das Herz zusammen. Und ich selbst halte es auch schwer aus, Menschen die ich mag oder liebe nicht so nahe kommen zu dürfen wie sie mir sind.

Ich hoffe sehr, dass die Zeit des Abstandhaltens so bald wie eben möglich vorbei ist: Dass sich keine dieser ungelenken Fuß- und Ellenbogen-Begrüßungen halten werden und unsere sowieso schon recht körperlose Gesellschaft noch körperloser wird. Das heißt aber beileibe nicht, dass ich derzeit Menschen gefährlich nahekommen und später Hinz und Kunz antatschen wollte. Nein. Aber dass ich die, die es wollen und brauchen, wieder berühre. Bis das wieder geht, richte ich mich nach einem afrikanischen Begrüßungswort. Es heißt „Sanibona“ und bedeutet „Ich sehe Dich“. Und nehme mir für jeden Menschen, den ich sonst mit Händedruck oder Umarmung begrüßen würde, Zeit, so viel Zeit um ihm in die Augen zu schauen und ihn wirklich zu sehen…

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31074
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