Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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10JUN2020
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Frieden fällt nicht einfach vom Himmel. Für den Frieden muss man schon auch selbst etwas tun. Das habe ich neulich in einem alten Brief gelesen, aus dem 1. Jahrhundert. Der erste Klemensbrief. Klemens war Bischof in Rom. Er hat einer christlichen Gemeinde in Griechenland geschrieben, in der es Streit gab. Der berühmte Apostel Paulus hatte der gleichen Gemeinde einige Jahre vorher auch schon geschrieben, weil es drunter und drüber ging. Es hat aber wohl nicht so lange geholfen. Also hat Klemens wieder einen Brief verfasst. Unter anderem mit dieser Aufforderung: „Übt Frieden!“ Klemens hat nicht viele Worte drumrum gemacht. Einfach nur: „Übt Frieden!“

Ich finde das wunderbar realistisch. Frieden ist etwas zum Üben. Die wenigsten Menschen kommen als Friedensengel auf die Welt. Frieden muss man üben. Der passiert nicht einfach so.

Ein schönes Beispiel ist für mich ein Dorf in Israel. Das Dorf hat einen Doppelnamen: hebräisch und arabisch. Wahat al-Salam Neve Shalom. Übersetzt heißt das „Oase des Friedens“. Denn hier wohnen jüdische und arabische Israelis gleichberechtigt zusammen. Man muss kein Israel-Kenner oder Palästina-Spezialist sein, um zu wissen: Das grenzt an ein Wunder. Ein Friedensdorf in konfliktträchtiger Umgebung. Ein Dorf, in dem man Frieden übt. Na, das werden sie nicht lange durchhalten, habe ich gedacht, als ich davon gehört habe. Bis ich verstanden habe: Das halten sie schon lange durch. Fast 50 Jahre. Manchmal hatte das auch etwas mit Aushalten zu tun. Einander aushalten. In Interviews erzählen Frauen und Männer aus dem Dorf, wieviel Zeit sie brauchen, um einander zuzuhören und zu versuchen, einander zu verstehen. Da lebt die jüdische Tochter einer deutschen Holocaust-Überlebenden neben dem vertriebenen arabischen Christen aus Nazareth. Da geht ein junger Mann zum israelischen Militär und sein arabischer Nachbar fragt ihn, ob das nicht eine Besatzungsarmee ist. Oft sind sie einander fremd. Aber sie üben. Sie üben Frieden, jeden Tag. Schon die Kleinsten sollen üben. Darum gehen sie gemeinsam zur Schule.

Mich beeindruckt dieser Wille, Frieden zu üben. „Übt Frieden“ heißt ja nicht nur, dass man Frieden üben soll. Es heißt auch, dass man Frieden üben kann. Das geht. Es kostet Zeit und Kraft und viel guten Willen, aber es geht. Frieden ist möglich. Nicht nur in dem kleinen Dorf in Israel.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31033
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