Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Am Rosenmontag ist die Welt voller Prinzessinnen und Clowns, voller Cowboys und Hexen. Große und kleine Narren verkleiden sich. Wer kann und mag, schlüpft in eine andere Rolle. Und dann sieht man die Welt mit anderen Augen. „Mir gefällt das nicht, dass die kleinen Kinder Angst vor mir haben!“ habe ich einen auch noch ziemlich kleinen Cowboy sagen hören. Von außen betrachtet, hatten ihm die Cowboys gefallen. So cool und mutig wollte er auch sein. Und nachher sah alles ganz anders aus. Wahrscheinlich waren sogar ihm selber seine Pistolen zu laut. Im nächsten Jahr wollte er lieber Gärtner sein. Wie das ist, wenn andere Angst vor ihm haben – ohne den Rollentausch in der Fasnet hätte er das nicht erfahren.
Die Prinzessin erlebt, dass man ganz schön friert in dem schönen Kleid und wie mühsam es ist, aufzupassen, dass nichts kaputt geht. Der Clown merkt, wie das ist, wenn jeder sich freut, wenn er einen sieht. Er merkt auch, dass man dauernd über die eigenen Füße stolpert, weil einem die Schuhe zu groß sind, in denen man gehen muss.
Man sieht die Welt mit anderen Augen, wenn man in eine andere Rolle schlüpft, auch im richtigen Leben. Wer das kann, wird nicht mehr ärgerlich über andere den Kopf schütteln: wie kann man nur? Wer die Welt mit den Augen der anderen sieht, der erkennt, dass den anderen was fehlt und was ihnen fehlt.Auf einmal begreift man, warum die wütend werden und immer gleich zuschlagen, die nie eine Chance haben nach oben zu kommen. Man versteht, warum die Mama sauer ist, wenn sie zum 100sten mal beiseite räumen muss, was die anderen einfach liegen gelassen haben. Nur, wenn ich weiß, wie empfindlich der andere an einer bestimmten Stelle ist, kann ich begreifen, warum er so ängstlich reagiert.
In eine andere Rolle schlüpfen und spüren, wie man sich dann fühlt: Im richtigen Leben ist das nicht so einfach wie in der Fasnet. Aber vielleicht kann man versuchen, ein bisschen genauer hinzusehen. Auch im normalen Leben. Nicht bloß sehen, wie cool es wirkt, wenn ich so martialisch auftrete wie John Wayne. Sondern auch begreifen, wie es sich anfühlt, dass andere Angst kriegen, wenn ich komme. Nicht bloß sehen, wie unmöglich der andere ist und wie unmöglich er sich verhält. Sondern sehen, was ihm fehlt. Und was man tun kann, damit es ihm besser geht. Jesus hat das gekonnt. Er hat gesehen, was den Menschen fehlt, nicht bloß, was sie falsch machen. Er hat gesehen, was sie brauchen, damit sie anders werden können. Sein Geist kann dazu helfen, Menschen neu zu sehen. Als Kinder Gottes.
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