Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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06JUN2020
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Streng reglementiert, in kleinen Gruppen und mit Sicherheitsabstand, können nun Gläubige aller Religionen wieder Gottesdienst feiern. - Ein gutes Gefühl, nach so vielen Wochen endlich wieder als Gemeinde vor Gott hinzutreten, statt auf Bildschirme zu starren. Das gemeinsame Beten und Singen, auch wenn man auf Gesänge noch verzichten muss, ist Teil eines gelebten Christentums. 

Doch – mit Verlaub gesagt – es werden in beiden großen Kirchen immer weniger, die in Sonntagsgottesdiensten ihren Glauben bekennen und feiern. Wegen Überfüllung musste in der Vergangenheit – von Kirchentagen einmal abgesehen – kaum mal ein Gotteshaus geschlossen werden. 

Sind die leeren Kirchen womöglich ein Zeichen Gottes? Versteckt sich dahinter eine geheime Botschaft, die wir noch entschlüsseln müssen? So fragt sich der tschechische Priester und Soziologe Tomáš Halík [1])und erinnert an Friedrich Nietzsche. Der lästerte schon zu seiner Zeit, die Kirchen seien die „Grabmäler Gottes“ [2]). Finden wir Gott gar nicht mehr am heiligen Ort? 

Diese Frage erinnert mich an die Frauen am Ostermorgen in Jerusalem. Der, den ihr sucht, ist nicht hier, bekamen sie am Grabe Jesu zu hören. „Er ist auferstanden und geht euch voraus nach Galiläa. Dort werdet ihr ihn finden“(Matthäus-Evangelium 28,6-7). 

Galiläa – ich übertrage die Lebenswelt der Gefolgsleute Jesu auch auf die Lebenswelt seiner Anhängerschaft von heute. Dorthin also geht der Auferstandene uns voraus, dort werden wir ihn finden. Was zögern wir noch lange? Auf nach Galiläa! Gehen wir hin zu den Suchenden und Zweifelnden unserer Tage, lassen wir uns ein in die Geschichten der Menschen, nehmen wir teil an ihren Nöten und Sorgen. Dann brauchen uns leere Kirchen nicht zu schrecken.

Der Auferstandene kommt uns in unserem Leben entgegen. Wir treffen ihn bei Kranken und Sterbenden, bei Kindern und jungen Menschen. Wir begegnen ihm in Beziehungsnöten nicht minder als in den Konflikten der Arbeitswelt. Wir erkennen ihn vor allem, wenn wir einander lieben.  

 

[1]    „Christ und Welt“ – Beilage der „ZEIT“ – 15 - 2020

[2]     „Die fröhliche Wissenschaft“, 1887, III. Buch, Nr. 125

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31001
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