Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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28MAI2020
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Abschlussprüfungen. Für viele Schülerinnen und Schüler in Baden-Württemberg ist es in diesen Tagen soweit. Einige sind schon durch, andere müssen morgen nochmal ran. Meine eigenen Schülerinnen schreiben heute ihre Prüfung im Fach Religion.

Eigentlich sollten sie das schon lange hinter sich haben. Aber dann hat das Corona-Virus einen Strich durch die Terminplanung gemacht. Plötzlich wurde alles anders: Von einem Tag auf den anderen waren die Schulen geschlossen. Unterricht nur noch per E-Mail. Kein Stundenplan mehr, der einem hilft, seine Zeit einzuteilen. Die Kontakte mit Mitschülern und Lehrern waren eingeschränkt. Niemand, den man kurz fragen konnte: „Wie war das? Können Sie das bitte nochmal erklären?“. Und dazu: Die Atmosphäre der Unsicherheit, die überall geherrscht hat, Nicht-Wissen ob und wann es weiter geht mit der Schule, bei manchen auch die Sorge um Familienangehörige, die zur Risikogruppe gehören.

Trotz all dem schreiben Schülerinnen und Schüler jetzt ihre Prüfung. Wenn ich als Lehrer Prüfungsaufsicht habe und die Prüflinge beobachte, wenn es ganz ruhig ist und man nur das Schreiben der Stifte hört, wenn Konzentration und Anstrengung im Raum fast zu greifen sind, dann empfinde ich jedes Jahr großen Respekt vor diesen jungen Menschen. In diesem Jahr geht mir das ganz besonders so: „Respekt, dass ihr trotz der schwierigen Umstände jetzt da sitzt, eure Abschlussprüfungen macht und Euer Bestes gebt“.

Als Lehrer beneide ich die Schulabgänger auch jedes Jahr ein bisschen. Nämlich um die Zukunft, die vor ihnen liegt. Ich beneide sie um das Gefühl, demnächst etwas Großartiges geschafft zu haben. Dann können sie selbständig und zuversichtlich ihren Weg ins Leben gehen mit all seinen Möglichkeiten.

Darum beneide ich die Schülerinnen und Schüler auch in diesem Jahr, trotz Corona. Der Sommer nach den Prüfungen ist für sie zwar nicht ganz so lang wie erhofft. Sie können vielleicht nicht so feiern, wie sie es wollten und nicht so vereisen, wie es manche geplant haben. Aber die Zukunft liegt auch vor den diesjährigen Schulabgängern und wartet darauf, erobert zu werden.

Vielleicht ist es sogar eine bessere Zukunft. Eine Zeit nach der Corona-Krise, in der manches anders gemacht wird. Eine gerechtere und nachhaltigere Zukunft, eine Zukunft in der Mitmenschlichkeit und Solidarität mehr zählen als bisher. Und Geld und Profit weniger. Die Schulabgänger von heute können diese bessere Zukunft mitgestalten.

Ich wünsche ihnen für ihre letzten schriftlichen Prüfungen viel Erfolg.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30952
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