SWR1 Begegnungen

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17MAI2020
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Sven-Joachim Haack Sven-Joachim Haack

Peter Annweiler trifft Sven-Joachim Haack, Pfarrer und Mediationsleherer 

Einfach nichts tun.

Jetzt in dieser aufgewühlten Zeit findet er eine „Kultur der Stille“ besonders wichtig. Der 60jährige ist Pfarrer in einer Klinik im Taunus und gleichzeitig Meditationslehrer am Benediktushof bei Würzburg. Jahrzehntelang hat er geübt, „einfach nichts“ zu tun. Beim Sitzen in der Stille hat er eine besondere Gebetspraxis entwickelt - und genau diese Erfahrung bleibt für ihn trotz der Lockerungen weiter eine gute Übung für die Zeit der Pandemie.

Es geht darum, in einer offenen und ungewissen Situation gleichzeitig zu entspannen. Und das ist die Grundübung: Ich setz mich in die Stille, nicht wissend, was mich erwartet, was in mir auftaucht, wohin es mich führt – und versuche gleichwohl, ganz präsent, gelassen entspannt zu bleiben.

Es klingt so einfach: Sich in die Stille zu setzen – und einfach „nichts“ zu tun. – Haben Sie das mal versucht? – Bei meinen Versuchen damit erlebe ich immer wieder, wie wenig „still“ es in mir ist. Wie viel an Gedanken, Plänen und Fragen durch meinen Kopf rasen. Für Sven-Joachim Haack gehört das alles dazu: Für ihn weist gerade die innere Unruhe auf die große Chance der Stille hin.

Für mich persönlich ist sie stark zusammengefasst in der sehr tiefen Erlaubnis: Dasein. Einfach Dasein. Einfach Dasein Dürfen, mit allem, was da ist, was sich zeigt, du mitbringt, zu dir gehört: Die große Einladung. Die riesige Herausforderung.

Ich spüre sofort: Der Mann weiß, wovon er redet. Und ganz bestimmt liegt es nicht an seiner tiefen Stimme, wenn ich den Eindruck habe, dass da einer aus der „Tiefe“ spricht. Bedacht, ruhig und kraftvoll wirkt Sven Joachim Haack auf mich. Eben in einem tiefen Sinn „geistlich“ – und ganz bei den Themen unserer Tage.

Wir geben uns unendlich viel Mühe, den Anschein aufrecht zu erhalten, ich hätte Kontrolle, wobei wir aber keine haben. Und deshalb finde ich Übung und gegenwärtige Situation auch gar nicht unendlich weit auseinander, sondern ganz eng verschränkt.

Die Pandemie zeigt uns, wie wenig wir eigentlich wissen und wie wenig wir letztlich unter Kontrolle haben. Im wahrsten Sinne des Wortes sind wir „still gelegt“ und irgendwie gelähmt. Für viele ist das ein Schock. Sven Joachim Haack sieht darin aber auch die Chance, tiefer zu erkennen, wer wir „eigentlich“ sind. Es geht in diesen Tagen um „Existentielles“, materiell und seelisch – und manche kommen da in Berührung mit großen spirituellen Fragen.

Ich möchte Menschen, die ich begleite, gerne verlocken: Zu sich selbst. Die meisten Menschen kommen aus einer Sehnsucht. Also: ‚Ich möchte gerne zur Ruhe finden.‘ ‚Ich möchte gerne aus diesem Getriebensein der Ansprüche raus:‘ ‚Ich hätte gern ein Empfinden für: Was ist eigentlich meine Mitte?‘ ‚Wer bin ich denn jenseits der Rollen, die ich so spiele?‘

Stille und Fülle
Stille - eine starke Kraftquelle, gerade jetzt in der Coronazeit, wenn wir auch mit Öffnungen weiter aus- und durchhalten müssen. Sven-Joachim Haack lebt aus dieser kraftvollen Stille. Der evangelische Pfarrer ist Lehrer des Würzburger Forums der Kontemplation. Besonders im Sitzen in der Stille findet er seine geistlichen Einsichten.

Sieht ja ein bisschen karg aus, wenn da Menschen in größerer Gruppe schweigend still vor einer Wand sitzen. Aber letztlich geht’s um Fülle. Es bei, mit mir und dem, was ist, aushalten. Damit öffnet sich das Tor und die Tür in den Raum der Fülle – und immer wieder auch der Glückseligkeit.

Fülle in der Stille - das ist ungewohnt. Viel eher denken wir doch oft: Fülle – das kommt von „Viel“ und nicht von „Wenig“!

In meiner protestantischen Prägung habe ich dazu noch geübt und gelernt: Das Wort ist die Fülle. Sprechen, Begegnung und Dialog stehen im Mittelpunkt – und deshalb sind Gottes Wort, die Bibel oder eigene Gebetsworte für den Glauben so zentral. Spielt dieses „Wort“ in der Kontemplation überhaupt eine Rolle, frage ich meinen Gesprächspartner, der viel von seinem (kürzlich verstorbenen) Lehrer Williges Jäger, dem Benediktinerpater und Zenmeister, gelernt hat. Sven-Joachim Haack:

Wir kennen Situationen, in denen uns etwas anspricht, was wir hundert Mal gesehen haben, vielleicht tausend Mal vorbei gegangen sind, auf dem Weg zur Arbeit oder nach Hause , und auf einmal geht so was wie ein Licht an.. und wir mit neuen Augen sehen. Im Grunde ist aber alles, was uns begegnet, Wort – Ausdruck dieses liebenden schöpferischen Wollens.

Alles kann mich „ansprechen“ – und auf den liebevollen Grund des Seins verweisen. Zwar frage ich mich, wie die heftigen und erschütternden Erfahrungen wie Krankheit, Gewalt oder Tod mich so ansprechen könnten. Aber ich spüre auch: Sven-Joachim Haack möchte aus der Stille heraus anleiten, ein inneres Konzert mit vielen Stimmen und auch Fragen zu hören. Stille - das lerne ich von ihm – ist so etwas ganz anderes als Verstummen. Oder anders gesagt:

Kann ich eine Verfassung unterstützen, kultivieren, in der – und das Bild liebe ich sehr – die Fülle des Seins aufrauschen kann?

Wenn mich in diesen Tagen das frische Grün der Buchen und die prallen Knospen der Pfingstrosen „ansprechen“ – dann ahne ich etwas von diesem „Aufrauschen“. Dieses Rauschen braucht keine Ge-räusche. Es kann aus der Stille kommen – und es kann Ursprung und Ziel des Lebens verbinden.

Was mich so lange auf dem Weg und auch bei meinem Lehrer gehalten hat, ist, dass es eine ganz schlichte und ganz einfache Übung ist. Es geht immer und immer wieder darum, zurückzukehren, einzukehren, heim zu kommen.

So eine einfache, uralte und topaktuelle Form des meditativen Gebets habe ich bei Sven-Joachim Haack neu schätzen gelernt. Auf der Heimfahrt denke ich: „‘Wie gut tut eine ‚Kultur der Stille‘ in diesen belastenden Tagen der Pandemie!“

 

Mehr Informationen zur Kontemplation und zu Sven-Joachim Haack.
www.kontemplationundmystik.de

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30917
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