SWR1 Begegnungen

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03MAI2020
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Dr. Thomas Posern Dr. Thomas Posern

Annette Bassler trifft Dr. Thomas Posern, Beauftragter bei ev. Kirchen bei der Landesregierung in Rheinland- Pfalz

Segen von Institutionen

Wegen der Corona- Pandemie sind unsere Freiheitsrechte stark eingeschränkt. Unsere Demokratie steht derzeit unter einer Bewährungsprobe. Wovon lebt- wie funktioniert Demokratie? Das habe ich Thomas Posern gefragt. Seit zehn Jahren vermittelt er die Anliegen der evangelischen Kirche in die Landesregierung von Rheinland- Pfalz. Er ist sozusagen ein Lobbyist für die Interessen der Institution Kirche. Aber:

Die Kirche ist zum einen eine Institution, die sich eben nicht nur für sich selber einsetzt, sondern die versucht, zusammen mit und anwaltschaftlich für Menschen in Not und in schwierigen Lebenslagen zu sprechen und solche Themen ins öffentliche Bewusstsein zu bringen.

So haben sich Diakonie und Caritas am Anfang dieser Pandemie besonders um Arme, Alte und Kinder aus prekären Wohnverhältnissen gekümmert. Kirche war da, wo staatliche Unterstützung nicht oder noch nicht angekommen ist. Das hat damit zu tun, wofür die Kirche steht- als Institution in unsrer Gesellschaft.

Es ist die Botschaft der Kirche, die für die Gesellschaft wichtig ist. Die biblische Botschaft, das Evangelium, was wichtig ist.

Und Kern des Evangeliums ist: jeder Mensch ist ein Geschöpf Gottes, ist wertvoll und wichtig. Und dieser Wert hängt nicht davon ab, was jemand geleistet oder erreicht hat. Das versucht Thomas Posern ganz konkret in das politische Tagesgeschäft hinein zu vermitteln.

Wir haben zum Beispiel viele Pfarrerinnen und Pfarrer, Seelsorgerinnen und Seelsoger in der Justizvollzugsanstalt, mit denen treffen wir uns regelmäßig und können deren Anliegen zB. dem Justizminister vortragen. An all diesen Stellen gibt es wichtige Dinge, die dann zur Kenntnis genommen und oft auch umgesetzt werden auf Regierungsseite.

Demokratie, so lerne ich, lebt von Menschen, die sich für andere einsetzen- ganz besonders für die, die sonst keine Lobby haben. Demokratie lebt von Institutionen, die diesem bürgerschaftlichen Engagement finanzielle Mittel, Raum und Struktur geben. Wenn Pfarrer Thomas Posern die Anfragen und Bitten seiner Kirche an die Regierung weiterleitet, muss er seine persönlichen Interessen oft hintanstellen.

Es sind nicht meine eigenen Dinge, die ich hin- und hertransportiere, sondern es sind Anliegen der Kolleginnen und Kollegen oder der Synoden oder von Kirchenvorständen und Presbyterien, die Eingang in meine Arbeit finden.

Das bedeutet: Hinhören, miteinander verhandeln, Kompromisse finden- oft in langen Sitzungen. Das ist nicht jedermanns Sache. Als Pfarrer ist Thomas Posern hier in seinem Element.

Am meisten Freude macht mir die ganze Zeit, dass ich mit unglaublich vielen unterschiedlichen Menschen zu tun habe. Die Hauptaufgabe in dieser Funktion ist, mit den Leuten zu reden!

Mit den Leuten reden. So einfach- und doch auch so mühsam. Gerade jetzt.

Woraus sich Demokratie nährt

Seit zehn Jahren pendelt er hin und her zwischen Kirche und Staat. Thomas Posern, Pfarrer und kirchlicher Beauftragter bei der Landesregierung in Rheinland- Pfalz. Wenn es um Absprachen, Austausch und Diplomatie geht, ist er in seinem Element. Denn die Kirchen sind bei uns unabhängig vom Staat. Zugleich aber übernehmen sie stellvertretend für den Staat viele soziale Aufgaben. Ein Blick in die Nachbarländer zeigt: so ein partnerschaftliches Miteinander hat viele Vorteile für alle.

Der Vorteil ist, dass in diesem partnerschaftlichen Miteinander viele Fragen miteinander bedacht werden können. Kirche kann ihre Stimme unmittelbar einbringen und es gibt vorgesehene Routinen dafür wie zum Beispiel regelmäßige Gespräche mit der Regierung, mit Ministerien oder Ähnliches.

Und so kommen routinemäßig die Interessen derer zu Wort, die sonst wenig Lobby haben: Eigentlich wichtig. Trotzdem ist der Einfluss der Kirche als Institution geschwunden. So wie der von anderen Institutionen. Warum finden viele Menschen für sich „Institutionen“ nicht mehr so wichtig?

Weil alles gut lief, hat man den Eindruck, man braucht den anderen nicht, man braucht die Institutionen nicht, Parteien nicht, Kirchen nicht, die Gewerkschaften nicht. Das hat dazu geführt, dass viele Menschen denken: Es läuft doch ohne mich!

Jetzt in der Krise aber können wir alle sehen, wie wichtig es ist, dass es Institutionen gibt. Parteien, die den Kommunalpolitikern den Rücken stärken, Gewerkschaften, die um besseren Lohn kämpfen, Kirchen die sich um Einsame und Kranke bemühen. Kurzum: Christenmenschen.

Menschen, die sich vom Glauben getragen wissen, dazu auch angespornt werden, davon etwas weiterzugeben- sowohl im Sinn der Glaubensbotschaft als auch in dem Sinn, dass sie beide Hände frei haben. Weil sie sich nicht nur um sich selber kümmern und abstrampeln müssen.

In diesen Tagen sind viele dankbar für die, die sich für Andere engagieren, dankbar dafür, einfach nur gesund zu sein. Ich finde: diese Dankbarkeit ist sehr kostbar. Sie gibt mir den langen Atem, den ich derzeit brauche. Und einen sensiblen Blick für Ungerechtigkeit in unsrem Land.

In der Tat gibt es eine Kluft in unserer Gesellschaft im Blick auf die Vermögen. Und das hat dazu geführt, dass mit Macht und Einfluss verbundene Vermögen eben sehr viel Einfluss haben und dadurch auch die Anliegen bestimmter Schichten aus dem Blick geraten sind.  Und dann sagen sich manche Leute: Dann brauchen wir uns nicht mehr beteiligen, wenn wir sowieso nix mehr beeinflussen können. Und andere, zu denen ich gehöre, sagen: Grade deshalb müssen wir uns an diesen Dingen beteiligen und so gut es geht versuchen, Einfluss darauf zu nehmen.

Auch wenn in unserem Land vieles besser werden kann und muss: ich bin in diesen Tagen dankbar, in einer Demokratie wie der unsrigen leben zu dürfen. Und dass es viele Ehrenamtliche gibt, die sich innerhalb und außerhalb der Kirche engagieren.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30828
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