Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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21APR2020
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Eine Freundin hat mir ein Foto geschickt. Darauf liegen ihre drei erwachsenen Kinder samt Vater einträchtig auf dem Boden, und versuchen ein Puzzle zusammenzusetzen.

Nett, habe ich gedacht. Doch interessant war, dass das Puzzlefieber nicht nur dort ausgebrochen ist, sondern auch bei anderen (befreundeten) Familien.

Was ist das für ein Phänomen, dass viele in Zeiten der Coronakrise ausgerechnet zu diesem Spiel greifen?

 Sonst liegt das doch eher im Schrank oder auf dem Speicher?

Für mich hat es etwas mit dem Wunsch zu tun, aus vielen Einzelteilen etwas zusammenzubringen, ein Bild entstehen zu lassen, eine Ordnung herzustellen. Gerade jetzt, wo wir täglich mit vielen Informationen geflutet werden, und nicht absehbar ist, wie genau es wann wo weitergeht.

Mir hilft es, die kleinen Teile zu sortieren und zusammenzufügen. Mir ein Bild zu machen. Das gilt fürs ganze Leben genauso wie für ein Puzzle. Aber wo anfangen?

Manchmal ist es hilfreich zunächst die Randstücke zu suchen, um einen äußeren Rahmen zu stecken. Und dabei das, was gerade nicht dran ist, auf die Seite zu legen. Je nach Bild hilft es auch, Farben und Formen zu sortieren. Ein Stück Himmel oder ein Stück Erde zu basteln und zu schauen, wo sich eines ins andere fügt. Das braucht Geduld und einen langen Atem, ähnlich dem, was wir gerade erleben. Es geht darum Stück für Stück, Tag für Tag zu schauen, was möglich ist. Abzuwägen was stimmt, was sind Fakten, was sind Fakes. Was ist realistisch, was entspricht einfach nicht der Wahrheit.

Ich erinnere mich noch gut daran, wie gern ich früher gepuzzelt habe. Was für ein gutes Gefühl es war, wenn ich Teile gefunden habe, die zueinander gepasst haben. Wieviel Geduld es oft gebraucht hat, bis sich alles ineinandergefügt hat. Und ich erinnere mich auch daran, wie frustrierend es war, wenn ein Teil gefehlt hat oder gar mehrere wie vom Erdboden verschluckt waren und ich sie nicht mehr gefunden habe. Dann gab es Lücken – es blieben leere Stellen. Das Bild ist nicht fertig geworden. Trotzdem habe ich gewusst, wie es aussehen muss. Das beruhigt mich auch in diesen Tagen. Es muss jetzt nicht alles so sein wie immer. Mein Leben muss überhaupt nicht vollkommen sein. Wenn ich nur im Blick behalte, wie die Teile zusammengehören.

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