SWR1 3vor8

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05APR2020
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Wäre heute ein normaler katholischer Gottesdienst, dann würde die Leidensgeschichte Jesu gelesen. Wie immer an Palmsonntag. In diesem Jahr aus dem Buch des Evangelisten Matthäus. Aber die Gottesdienste finden hinter verschlossenen Türen statt. Damit niemand sich ansteckt. Wie sinnvoll. Und wie schrecklich, gerade jetzt, wo es mit schnellen Schritten auf Ostern zugeht. Was bleibt also? Das Fernsehen, das Radio. Immerhin. Aber ich habe mir gedacht: Ich feiere heute meinen eigenen Gottesdienst für mich zu Hause. Indem ich ganz in Ruhe die eingangs erwähnte Leidensgeschichte lese und bedenke. Es geht mir dabei nicht um Einzelheiten. Sondern um das, was dieser Geschichte den Namen gegeben hat: um das Leiden Jesu, und wie sich darin das Leid des Menschen und der ganzen Welt zeigt.

Es geht mir um das Leid, dem ich begegne. Manchmal in meinem Leben; aber viel mehr noch in dem, was ich bei anderen sehe. Es gibt kein Leben ohne Leid.

Die Corona-Pandemie rüttelt in dieser Hinsicht ziemlich an uns. Auf einmal ist unser Leben elementar bedroht, weil wir noch fast nichts gegen das Virus in der Hand haben. Wir kommen an die Grenzen dessen, was wir schaffen. Ärzte und Krankenschwestern merken das ganz besonders. Leider kommt für immer mehr Menschen das Leid näher, das dieser Virus verursachen kann. Vor allem für Ältere und Menschen mit Vorerkrankungen. Viele sorgen sich um ihre Arbeit. Unternehmen und Betriebe kommen in die Krise. Das alles ist mit Leid verbunden, mit körperlichem und seelischem Leiden.

Es führt kein Weg daran vorbei, sich dem zu stellen. Und zwar so nüchtern wie möglich. Und mit einem Blick für die wahren Verhältnisse. Ja, es bedrückt mich, dass mein Leben eben nicht so weitergeht, wie ich das gewöhnt war. Aber ich strenge mich an, es auszuhalten und nicht zu klagen. Und denke an die, die wirklich leiden müssen.

Das Leiden Jesu war menschengemacht. Das Leid, das vom Corona-Virus ausgeht, ist anonym und unpersönlich. Und doch gibt es eine Parallele. Leid entsteht häufig dort, wo wir die Grenzen nicht respektieren, die zum Menschen eben gehören. Die jüdischen Hohepriester meinen Gott für sich gepachtet zu haben. Sie haben Angst um ihre Autorität und deshalb muss Jesus weg. Die Pandemie zeigt uns, dass wir irren, wenn wir meinen, grenzenlos unterwegs sein zu können. Das ist eine Lehre, die ich einmal mehr aus der aktuellen Lage ziehe. Und: Dass es gleichzeitig zutiefst menschlich ist, sich dessen anzunehmen der leidet. Damit das Leid nie über den Menschen siegt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30650
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